
Der private Mietmarkt in Graz wirbt mit besonderen Mietpreis-Zuckerln
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Der private Mietmarkt in Graz wirbt mit besonderen Mietpreis-Zuckerln
Mieter gesucht: Wohnungen in Graz stehen leer

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Zwei Zimmer, Einbauküche, schlichtes modernes Badezimmer. Sogar eine verglaste Loggia hat die Neubauwohnung im Grazer Wohnbezirk Gries. Mit den Öffis ist man in 15 Minuten in der Innenstadt. Eine kleine Junggesellen- oder Paarwohnung, circa 60 Quadratmeter, 775,82 Euro Bruttomiete (exklusive Heiz- und Energiekosten). Man könnte sagen: ein Hit auf dem Wohnungsmarkt.
Das Inserat für die Garçonnière auf einer bekannten Immo-Website ist jedoch alles andere als klassisch: „3 Monate mietfrei!“, heißt es da. Ein Angebot, das eher an den Marketing-Trick erinnert, eine baufällige Bruchbude als „Bastlerhit“ zu beschönigen. Hier ist aber alles renoviert, sauber und bezugsfertig. Inserate wie dieses wären in anderen Städten schon nach wenigen Tagen offline. Die Grazer Wohnung hingegen findet seit einem Monat keine Mieterin. Wer in Wien, Salzburg oder Innsbruck zu einer Wohnungsbesichtigung geht, ist selten allein. „Da habe ich oft 15 Personen, die gleichzeitig die Wohnung anschauen“, erklärt der Makler, der durch die Räume der Mietwohnung führt. Aber Graz ist anders.
Durchsucht man die Seiten der gängigen Immobilienvermittler, fällt sofort auf, dass Inserate wie dieses kein Einzelfall sind: „Erster Monat Mietzins-frei!“, „Gratis Klimaticket inklusive!“, „Graz-Gutschein im Wert von 300 Euro geschenkt“. Mit solchen Mietzuckerln bewerben verschiedene Immo-Firmen ihre Mietwohnungen in Graz.
Ein Überangebot an privaten Mietwohnungen führte in den vergangenen drei Jahren zu erheblichen Leerständen in der steirischen Landeshauptstadt. In der 300.000-Einwohner-Stadt sind derzeit rund 3780 Wohnungen zur Miete inseriert. Zum Vergleich: In der Bundeshauptstadt Wien, wo weit über zwei Millionen Menschen leben, finden sich 6800 inserierte Mietwohnungen. „Es wurde zu viel gebaut“, meint der Makler in Graz – und zeigt aus dem Fenster auf eine Landschaft voller Kräne und Wohnhochhäuser.

Im Bezirk Gries suchen einige Wohnungen neue Mieterinnen.
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Im Bezirk Gries suchen einige Wohnungen neue Mieterinnen.
Eine kurze Busfahrt entfernt liegt das Rechts- und Sozialwissenschafts-Zentrum der Universität Graz – ein 1980er-Jahre Glaskomplex, der im Inneren durch Betonsäulen gestützt ist. Am Institut für Volkswirtschaftslehre forschen Miriam Steurer und Robert Hill in der internationalen Immobilienökonomie. Der britische Professor und die österreichische Postdoc ordnen für profil aktuelle Wohnstatistiken des österreichischen Ziviltechniker (ZT) Datenforums ein. Die eigenartigen Zustände am Grazer Mietmarkt waren ihnen zuvor noch gar nicht aufgefallen – zur Neumiete seien wenig aktuelle Daten vorhanden.
Anders als in den meisten anderen Landeshauptstädten sind die Nettomieten in Graz in den letzten Jahren kaum gestiegen. Die durchschnittliche Nettomiete von zehn bis elf Euro pro Quadratmeter entspricht hier in etwa der Richtwertmiete von circa 9,30 Euro. In Wien betrage demgegenüber die freie, private Angebotsmiete ein Vielfaches des regulierten Richtwerts, erklärt der Geschäftsführer des ZT Datenforums, Dieter Leitner. „Vermietern kommt es wohl immer noch billiger, wenn sie drei Monate mietfrei anbieten, als wenn sie den Mietzins allgemein senken“, vermutet Volkswirtin Steurer.
Der Grazer Bau-Boom
Der Arbeitsplatz der beiden Forschenden ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Einwanderungsgrund. Die Unistadt Graz wächst, auch wegen ihrer Studierenden. Das war mit ein Grund für den Bau-Boom der 2000er- und 2010er-Jahre. Weite Flächen in Eggenberg, Lend und in den Reininghausgründen, aber auch kleinere Gebiete in Puntigam oder Andritz wurden in Bauland umgewidmet und von diversen Bauträgern bebaut. Ein Produkt dieser Phase ist beispielsweise die Smart City im Bezirk Lend – ein modernes Wohnquartier, ähnlich dem Wiener Sonnwendviertel – mit Spielplätzen, Gastro und Supermärkten direkt vor der Haustür.
Bauen ist immer eine Prognose in die Zukunft.
Dieter Leitner, Geschäftsführer ZT datenforum eGen
Viele dieser Gebäude wurden aber erst in den vergangenen Jahren fertiggestellt. Mit der Zahl der Zuwächse habe man sich verschätzt, so Dieter Leitner vom ZT Datenforum. „Bauen ist immer eine Prognose in die Zukunft, und die ist immer schwierig. Man hat gehofft, dass der Zuzug weitergeht. Corona hat den Markt und die Welt einfach verändert, und man hat vielleicht noch keine Lösung gefunden, wie man auf die Veränderung reagiert“, sagt der Ziviltechniker.
Das Umwidmen weiter Flächen in kurzer Zeit sei außerdem laut Volkswirt Hill eine riskante Zugangsweise. „Man sollte immer nur nach und nach umwidmen, damit nicht unkoordiniert gebaut wird.“
Die Sache mit dem Leerstand
Wie viele Wohnungen in Graz tatsächlich leer stehen, ist nur schwer zu erfassen. Die kommunistische Stadtregierung hat es sich laut Wahlprogramm zur Aufgabe gemacht, der Immobilienspekulation durch eine Leerstandsabgabe entgegenzuwirken. Grundsätzlich steht es steirischen Gemeinden derzeit frei, eine Leerstandsabgabe einzuheben. Graz tut das bisher nicht. Denn für die Leerstandsfeststellung fehlen schlicht die finanziellen Ressourcen.
Anfang 2025 gelangte der interne Leerstandsbericht des Grazer Vermessungsamtes an die Medien (siehe Grafik). Das Dokument sei jedoch keine offizielle Studie, so das Amt. Das interne Pilotprojekt sei nur mit dem Zweck erstellt worden, die Ressourcenintensität einer umfassenden Leerstandserfassung zu demonstrieren. Über Meldedaten und ausgesetzte Stromversorgung könne man vorsichtig mutmaßen, wie viele Wohnungen mindestens 26 Wochen im Jahr 2023 unbewohnt waren. In der „Kleinen Zeitung“ und im „Bezirksblatt“ wurde das aufgegriffen: „13,5 Prozent der Wohnungen in Graz stehen leer. Dazu könnten noch 2000 dazukommen“. Tatsächlich bildet der Bericht nur einen kleinen Bereich der Stadt ab und arbeitet darüber hinaus mit Hochrechnungen. Die darauf basierende Grafik ist dementsprechend mit Vorsicht zu genießen.

Obwohl der Wohnungsleerstand in Graz mit den bestehenden Ressourcen nicht zur Gänze erfasst werden kann, ist Leerstand in Graz verbreitet.
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Obwohl der Wohnungsleerstand in Graz mit den bestehenden Ressourcen nicht zur Gänze erfasst werden kann, ist Leerstand in Graz verbreitet.
Die Leerstände sind jedenfalls hoch – das beweisen nicht zuletzt die unzähligen Miet-Goodies in den Wohnungsinseraten. Wie also damit umgehen? Die 2024 gewählte Landesregierung aus FPÖ und ÖVP plant, die Leerstandsabgaben durch das Tiroler Modell „Sicher Vermieten“ zu ersetzen. Statt einer Steuer auf nichtvermietete Wohnungen will das Land bedürftige Mieter in jene Privatwohnungen setzen, die über längere Zeit keine Interessenten finden. Bei Ausfall des Mietzinses kommt das Land dem Eigentümer auf, dafür seien die Mieten gedeckelt – so die Idee. Das habe den Vorteil, dass nicht zusätzliche gemeinnützige Wohnbauten errichtet werden müssen, da bestehender Raum genutzt werde, heißt es aus dem Ressort der zuständigen Landesrätin Simone Schmiedtbauer (ÖVP). Ob die Maßnahme in Zeiten äußerst knapper Budgets wirklich umgesetzt wird, ist aber fraglich.
„Völlig arg“, findet diese Idee die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) und wittert eine „Hausherrenförderung“. Kahr setzte im Wahlkampf stark auf das Thema Wohnen – und traf damit offenbar den Nerv der Grazerinnen und Grazer.
„Mit Steuergeld finanziert man so in Wirklichkeit teuren Wohnraum“, so Kahr. Die KPÖ-Politikerin macht sich deshalb nach wie vor für eine Leerstandsabgabe in ihrer Stadt stark.
Der private Wohnraum ist für einen Großteil der Bevölkerung einfach zu teuer.
Elke Kahr (KPÖ), Bürgermeisterin der Stadt Graz
Ob das überhaupt sinnvoll sei, wenn Vermieter ihre Wohnungen derzeit offenbar einfach nicht vermittelt bekommen? „Der private Wohnraum ist für einen Großteil der Bevölkerung einfach zu teuer“, so Kahr. Der Leerstand in Graz ließe sich jedoch laut internem Bericht des Stadtvermessungsamtes nur durch Schaffung von etwa 18 neuen Vollzeitstellen flächendeckend feststellen – Ressourcen, die die um bald zwei Milliarden Euro verschuldete Stadt Graz derzeit nur schwer aufbringen kann.
Aneinander vorbeigebaut
Im Büro der Bürgermeisterin im Grazer Rathaus steht die Balkontür zur Herrengasse offen. Die kalte Herbstluft weht herein, um den Geruch des Tabakrauchs im Zimmer zu verschleiern. Während des Gesprächs mit profil zündet sich die Bürgermeisterin einige Zigaretten an. „Wir haben schon 302 Wohnungen in dieser Regierungsperiode fertiggestellt, weitere 300 sind de facto auf Schiene.“ Das wirkt paradox. Noch mehr Neubau, wo doch Vermieter die bestehenden Wohnungen schon kaum loswerden?
Die Nachfrage für Gemeindewohnungen sei hoch, vor allem seit die KPÖ die Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung neu definiert habe. Seit Amtsantritt der kommunistischen Stadtregierung wurden rund 5000 zusätzliche Personen mit einer städtischen Wohnung versorgt, zeigt Kahr auf einer Excel-Tabelle. So gesehen konkurrieren gemeinnützige Wohnbauträger mit privaten Anbietern um Mieter. Billig war die Maßnahme nicht. Die Schulden steigen, die Stadt hat Budgetprobleme, räumt Kahr ein, und muss jetzt wie alle Gemeinden sparen.

Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr hat seit ihrer Amtseinführung 302 Gemeindewohnungen errichten lassen.
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Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr hat seit ihrer Amtseinführung 302 Gemeindewohnungen errichten lassen.
Hohe Mieten, befristete Verträge und schlechte Wohn(bau)qualität seien die Gründe für ein Abrücken der Mieter vom privaten Markt – und nicht die günstigere Konkurrenz aus dem Gemeindebau, meint Kahr. Ob es nicht sinnvoll wäre, das Wohnbedürfnis mit bereits bestehenden Wohnungen zu decken, anstatt neu zu bauen und mehr Flächen zu versiegeln? Die Stadt könne nicht derart in den privaten Wohnraum eingreifen, so Kahr. „Wir können nur über den Flächenwidmungsplan, über die Bewilligungen und über Bebauungspläne eingreifen. Das sind die einzigen Möglichkeiten der Stadt, und die nutzen wir auch.“
Warten auf Abnehmer
Immobilienmakler Swjatoslaw Sumann von der Österreichischen Realitäten-Aktiengesellschaft ÖRAG hat eine gänzlich andere Sicht auf den Grazer Mietmarkt als die Bürgermeisterin. In der steirischen Landeshauptstadt vermietet er fast ausschließlich Wohnungen kommerzieller Anbieter – etwa von Banken und Versicherungen. Die modernen Neubauten seien kostspielig, aber begehrter als Altbau in der Innenstadt, so Sumann.
Er führt in eine dieser Altbauwohnungen in der Herrengasse, der zentralen Einkaufsstraße von Graz. Dieses Apartment ist das Gegenteil zur kleinen Wohnung in Gries: frischsanierter Altbau mit Parkettboden, ein Raumbogen an der Zimmerdecke, Blick in den ruhigen Innenhof – mitten im Stadtzentrum, aber ohne Aufzug oder Loggia. Die Wohnung ist wunderschön und leer, und zwar schon länger.
In der Innenstadt sei es laut, es gebe nur teure Parkmöglichkeiten und kaum Freiflächen, auch deshalb seien diese Wohnungen weniger begehrt, so Sumann. Je nach Größe, Energiewert und Lage könne es bis zu drei Monate dauern, bis eine Wohnung vermietet wird. Ab dem dritten Monat müsse man Probleme analysieren und eventuell Anreize schaffen.
In Gries ist die Wohnungsbesichtigung nach einer halben Stunde vorbei. Weil die Wohnung schon eine Weile leer steht, ist der Strom abgedreht, also muss der Makler beim Rausgehen nicht das Licht ausschalten. Bis es wieder angeht, könnte es noch ein bisschen dauern.

Hannah Müller
seit September 2025 Trainee bei profil.