Warum das „Billigstromgesetz“ die Energiewende bremsen könnte
Markus Winter schlüpft in seinen Klettergurt und setzt einen Helm auf. Das ist Pflicht. Im Windrad herrschen ähnlich strenge Regeln wie auf einer Baustelle. Wer eine Leiter hochklettert, hängt sich mit dem Gurt ein. In den vergangenen Jahren haben sich hier, unweit des Firmensitzes der Windkraft Simonsfeld AG in Ernstbrunn, schon viele ein Bild gemacht. Die ehemalige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler oder der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Jahr 2022 von unten. Andere schauten sich den Windpark von oben an, wie der AMS-Vorstand Johannes Kopf im Sommer 2023. Immer wieder seien die Besucherinnen und Besucher beeindruckt davon, wie viel Strom ein Windrad erzeugt: Die 143 Meter hohe Anlage produziere in einer Stunde so viel Energie, wie ein österreichischer Haushalt im ganzen Jahr verbraucht. So richtig gefruchtet haben die Firmenbesuche heimischer Spitzenpolitikerinnen und -politiker in der Vergangenheit aber nicht.
Rund um Ernstbrunn betreibt die Windkraft Simonsfeld AG die meisten ihrer Anlagen. Abseits davon ist in der Region aber nicht viel los. Der Jakobsweg Weinviertel kreuzt die Gegend, es gibt ein Wolfsforschungszentrum, zwischen den Ortschaften prägen Äcker das Landschaftsbild. Mittendrin: die Windräder der Simonsfeld AG. Jenes, das wir besichtigen, gehört zu einem sieben Anlagen umfassenden Windpark, der Energie für rund 16.500 Haushalte pro Jahr erzeugt. Doch ein neues Gesetzesvorhaben, das die Bundesregierung am Dienstag im Ministerrat verabschiedet hat und in den kommenden Wochen mit einer der beiden Oppositionsparteien beschließen möchte, könnte die Finanzierung solcher Windparks künftig erheblich erschweren, klagen die betroffenen Unternehmen.
Was ist da los in der Branche? Rein in den Klettergurt – Zeit für einen Lokalaugenschein.
Ein Blick ins Innere
Markus Winter öffnet die Tür und geht ins Innere des Windrades. Vor einem Display erklärt er, wie stark der Wind an diesem Freitag im November ist: 36 km/h, das entspricht einer Leistung von 7000 Kilowattstunden (kWh), so viel wie zwei Haushalte im Schnitt jährlich verbrauchen. Ein guter Tag für die Betreiber. Weniger gut wäre es für die Windkraft Simonsfeld AG und Konsorten, wenn der Wind noch stärker wehen würde, es zeitgleich sehr sonnig wäre und zur gleichen Zeit wenig Strom verbraucht wird. Denn dann könnten Netzbetreiber Photovoltaik- und Windkraftanlage abregeln. Diese sogenannte Spitzenkappung ist einer der zentralen Kritikpunkte der Windkraftbranche im aktuellen Gesetzesentwurf zum „Günstiger-Strom-Gesetz“, wie es die Regierung nennt.
Kritk an der geplanten Spitzenkappung
„Für die Betreiber kann das den Jahresgewinn – je nach Größe des Windrads und Standorts – um bis zu 20 Prozent reduzieren“, sagt Markus Winter, Technikvorstand der Windkraft Simonsfeld AG.
Mit der Spitzenkappung sollen kurzfristige Netzüberlastungen verhindert werden. Denn anders als etwa Gaskraftwerke liefern Windräder nicht konstant gleich viel Energie, sondern eben so viel, wie der Wind zum jeweiligen Zeitpunkt hergibt. Das Stromnetz ist aber nicht ausgelegt für solche Lastspitzen, die gepaart mit Photovoltaikanlagen zu bestimmten Zeiten sehr viel Strom liefern, zu anderen Zeiten so gut wie gar keinen – in einer windstillen Nacht zum Beispiel.
Netze für Spitzenlasten auszubauen, die über das Jahr gesehen in relativ wenigen Stunden anfallen, würde die Kosten für alle Verbraucher weiter in die Höhe treiben. Die Netzkosten sind bereits explodiert, allein von 2024 auf 2025 stiegen die Stromnetzentgelte österreichweit um 23 Prozent. Auch im kommenden Jahr werden sie in einigen Bundesländern kräftig ansteigen. Der Hauptgrund: Die Ausbaukosten steigen, während die transportierten Mengen nicht im selben Maß zunehmen; auch weil private Photovoltaikanlagen den Strombezug aus dem Netz reduzieren. Die Infrastruktur muss dennoch bezahlt werden – egal wie viel Strom durchfließt.
In der Theorie ist die Spitzenkappung also nachvollziehbar. Bei Windkraftanlagen darf diese Kappung maximal zwei Prozent der Jahresleistung ausmachen. Klingt wenig. „Für die Betreiber kann das den Jahresgewinn – je nach Größe des Windrads und Standorts – aber um bis zu 20 Prozent reduzieren“, sagt Winter. Das könne die Finanzierung für weitere Windkraftprojekte erschweren und den Ausbau der Windkraft verzögern – und dieser hinkt ohnehin hinterher, in allen westlichen Bundesländern steht bis heute kein einziges Windrad.
Wir steigen in einen Materialaufzug. Er wird uns 136 Meter innerhalb der Anlage nach oben bringen. Es ist eng, Winter bedient den Aufzug mit einem Totmannschalter. Bewegt er den Finger weg, würde der Lift stehen bleiben. Die Fahrt dauert lange. Schneckentempo. Genug Zeit, um darüber zu sprechen, warum die Branche mit dem neuen Gesetz – sollte es so beschlossen werden – so hart ins Gericht geht.