Warum Energieversorger von der WKO-Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind
Wer in Österreich ein Unternehmen führt, ist automatisch Pflichtmitglied in der Wirtschaftskammer (WKO). Das ist die gängige Annahme. Für eine Branche gilt das aber nicht: die Elektrizitätswirtschaft – vom teilstaatlichen „Verbund“ über die Landesenergieversorger bis hin zu privaten Wind- und Solarparkbetreibern. Österreichweit sind das mehr als 120 Unternehmen. Während also der Stahlkonzern Voestalpine jährlich rund zehn Millionen Euro an Pflichtmitgliedsbeiträge an die WKO abführt, kommen die Energieversorger und auch die Netzbetreiber beitragsfrei davon. Wie viel Geld der Kammer dadurch entgeht, lässt sich kaum beziffern: Die Beitragshöhe hängt von mehreren Parametern ab – von der Lohnsumme, der Anzahl der Beschäftigten und der Höhe des Gewinns. Wie ist es aber überhaupt möglich, dass die Energieerzeuger als einzige Branche von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind?
Der Grund dafür liegt mittlerweile mehr als 70 Jahre zurück. Am 30. Dezember 1952 reichte die Wiener Landesregierung einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein. Die heute bestehende Wirtschaftskammer gab es damals noch nicht, sie hieß noch Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie. Und das SPÖ-geführte Wien kritisierte, dass das damalige Handelskammergesetz Berufsgruppen wie etwa Energieversorger, Theater oder Lotteriegeschäftsstelle zur Kammerpflichtmitgliedschaft zwang, die weder klassisches Gewerbe noch Industrie waren und daher nicht vom Bundesrecht umfasst waren.
Das 72 Jahre alte Urteil
Am 26. März 1953 gab das Höchstgericht dem Antrag statt und hob die Worte „die Energie-Versorgungsunternehmungen“ sowie „und Wasser-“ als verfassungswidrig auf. Der VfGH stellte fest, dass die Bundesgesetzgebung Firmen in die Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie prinzipiell einbeziehen kann, allerdings müssten dann gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Entweder, die Unternehmungen seien bereits durch das noch viel ältere Kammergesetz aus dem Jahr 1920 umfasst oder die Regelung ihrer Angelegenheiten steht in der Vollziehung des Bundes. Vereinfacht gesagt: Die Energieerzeugung müsste bundesrechtlich geregelt sein, nicht in Landesgesetzen. Weil das bei Energieversorgern nicht der Fall ist, hob das Höchstgericht die Pflichtmitgliedschaft als verfassungswidrig auf. Und nicht nur die der Energieerzeuger, sondern auch jene von Spielbanken und Kasinos, Sanatorien, Kuranstalten, Heilbäder und einige weitere.
Die allermeisten von ihnen wurden 1998 in einer Gesetzesnovelle wiedereingegliedert, wie ein Sprecher der WKO auf profil-Anfrage bestätigt. Die Elektrizitätswirtschaft aber nicht. Der Ball dafür liege beim zuständigen Wirtschaftsministerium. Auf Nachfrage heißt es: „Das VfGH-Erkenntnis aus 1953 ist bekannt, eine Debatte dazu gibt es aktuell nicht. Es besteht derzeit kein Bedarf, weitere Maßnahmen zu prüfen“, schreibt ein Sprecher des Ministers.
Fossile Unternehmen dominieren Kammer
In der Praxis sorgt das vor allem in der Branche der Photovoltaik- (PV), Wind- und Wasserkraft für Unmut. Sie monieren: Wenn die WKO Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen abgibt, dann haben diese die Handschrift der fossilen Unternehmen. Denn Energie wird in der Kammer in zwei Sparten vertreten: im Fachverband der Mineralölindustrie (FVMI) und im Fachverband des Energiehandels. Auf der einen Seite stehen also Tankstellenbetreiber wie die OMV. Im Fachverband Energiehandel ist alles umfasst, was mit synthetischen Kraftstoffen und brennbaren Flüssigkeiten zu tun hat. Auf der Website führt der Fachverband seine Erfolge auf: etwa, dass es beim Erneuerbare-Wärme-Gesetz im Bestand kein Ölheizungsverbot und keine stufenweise Stilllegung von bestehenden Ölheizungen gibt. Und auch die „Flexibilisierung des ‚Verbrenner-Verbotes' durch ein politisches Bekenntnis zur Technologieoffenheit (im Verkehr)“ steht dort unter dem Kapitel „Erfolgreiche Maßnahmen Ihrer Branchenvertretung“.
An der Kritik, dass die WKO die Interessen der Erneuerbaren nicht vertritt, ist also etwas dran. Den Vorwurf, dass Gesetze wie der aktuelle Entwurf des „Billigstromgesetzes“ – vor allem die Erneuerbaren-Branche übt Kritik daran – von der WKO geschrieben werden, weist das zuständige Wirtschaftsministerium aber empört zurück. Man habe genug Expertise im eigenen Haus, heißt es.
Erleichterungen für Mineralölunternehmen und Fahrzeugindustrie
Vergangene Woche wurde eine bestehende Ausnahmeregelung zugunsten der Mineralölbranche erneut verlängert. Für sie und die Fahrzeugindustrie gilt weiterhin eine Reduktion der Bemessungsgrundlage für die Kammerumlage 1. Die Maßnahme senkt die Beitragspflicht deutlich und gilt bis 2030.
Für zusätzlichen Zündstoff hat in den vergangenen Tagen ein Artikel der Tageszeitung „Der Standard“ gesorgt: am vergangenen Mittwoch hat die Wirtschaftskammer eine bereits seit Jahren bestehende Ausnahmeregelung zugunsten der Mineralölbranche erneut verlängert. Die Bemessungsgrundlage für die Kammerumlage 1 wird weiterhin um 25 Prozent reduziert. Das senkt die Beitragspflicht für Tankstellenbetreiber und Heizölhändler deutlich und gilt bis 2030.
Argumentiert wird diese Sonderposition innerhalb der Kammer damit, dass die Mineralölbranche aufgrund hoher, aber stark schwankender Umsätze, niedrigere Gewinnspannen und aufgrund des Transformationsdrucks als besondere Infrastrukturbranche entlastet werden müsse. Gleichzeitig verwies die WKO gegenüber der Zeitung auf zusätzliche Belastungen wie die „CO2-Abgabe, steigende Kosten durch den EU-Emissionshandel ab 2027 sowie hohe Investitions- und Transformationsanforderungen.“ Eine solche Ausnahmeregelung gibt es laut Wirtschaftskammer nicht nur für die Mineralölindustrie, sondern auch für die Fahrzeugindustrie.
Eine gespaltene Branche
Ausnahmeregelungen, die es für die Energieerzeuger gar nicht geben kann, immerhin sind sie nicht von der WKO-Pflichtmitgliedschaft umfasst. Angenehm daran: Kammerbeiträge, wie sie alle anderen Unternehmen in Österreich zu bezahlen haben, fallen für sie nicht an. Für die Branche bedeutet das aber auch, dass sie von Österreichs wichtigster Unternehmensvertretung nicht repräsentiert wird. Wohl auch deshalb haben die Energieerzeuger längst eigene Vertretungen gegründet. Die Elektrizitätswirtschaft findet sich beispielsweise im Verein „Österreichs E-Wirtschaft“ wieder, PV-, Wind-, Kleinwasserkraft- oder Biomassevertreter im Verein „Erneuerbare Energie Österreich“. Wie Interessensvertretung funktioniert, wissen auch die Stromproduzenten: Präsident der E-Wirtschaft ist der Verbund-Vorstand und ehemalige oberösterreichische ÖVP-Wirtschaftslandesrat Michael Strugl. Als Vorstandsmitglied im Verein der Erneuerbaren sitzt Florian Maringer – Chef der IG Windkraft, vormals energiepolitischer Referent im Kabinett der ehemaligen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne).
Dennoch bleibt eine Schieflage: Während in der Wirtschaftskammer die Fossilen dominieren, organisiert sich die Elektrizitätswirtschaft in parallelen Strukturen. Ausgerechnet jene Branche, die Österreichs Energiezukunft gestalten soll, ist von der wichtigsten Unternehmensvertretung des Landes ausgeschlossen. Ihre Wiedereingliederung spielt in der aktuellen Debatte rund um eine Kammerreform bislang keine Rolle.
Dieser Artikel wurde um 16:30 um eine Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums ergänzt.