Bremsen beim Klimaschutz
Ohne die Klimaziele für 2040 zur Klimakonferenz in Belém zu reisen wäre ein schädliches Signal.
Klimaziel vertagt: Wie viel CO2 soll die EU 2040 noch ausstoßen?
Warum ringt Europa so heftig um 90 Prozent?
Die EU-Kommission hat für 2040 eine Reduktion von 90 Prozent im Vergleich zu 1990 vorgeschlagen – und das sei auch unbedingt nötig, sagt der Klimaforscher Keywan Riahi im profil-Gespräch. Er ist einer der meistzitierten Forscher der Welt und berät die EU im Wissenschaftlichen Beirat für Klimawandel. Nur mit diesem Zwischenziel schaffe es die EU, das endgültige Ziel zu erreichen: null Emissionen bis 2050. Und es gibt ein weiteres Problem: Könne sich die EU bis zur Klimakonferenz Anfang November in Brasilien nicht auf einen Pfad für 2040 einigen, hätte das „eine verheerende Signalwirkung mit Dominoeffekt“, warnt Riahi. Beim EU-Gipfel am 23. Oktober wurde die Entscheidung auf 4. November vertagt.
Warum ist der EU-Pfad so wichtig für die Welt?
Weil bei der anstehenden Klimakonferenz alle teilnehmenden Staaten ihre Ziele für die nächsten Jahre abgeben. Wenn die EU nicht liefert, haben auch China, Indien und andere Staaten wenig Motivation, ehrgeizige Ziele zu formulieren.
Kann es vor der Klimakonferenz in Belém trotzdem noch klappen?
Wahrscheinlich mit Abstrichen. „Es ist davon auszugehen, dass der Vorschlag der Kommission noch weiter abgeschwächt wird“, befürchtet Katharina Rogenhofer, Chefin des Kontext-Instituts für Klimafragen. Entweder indem man die 90 Prozent verringert – oder indem man verstärkt auf Kompensationsprojekte im EU-Ausland setzt (die Kommission hatte sie in einem Ausmaß von drei Prozent vorgeschlagen, was bereits auf scharfe Kritik stieß). Der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag ist als Signal in diese Richtung zu deuten. Dort betonte man, dass mögliche „Defizite nicht zu Lasten anderer Wirtschaftssektoren gehen“ dürften. Diese Passage hatte im Entwurf der Kommission gefehlt.
Was ist an internationalen Kompensationsprojekten auszusetzen?
Katharina Rogenhofer nennt sie „Scheinklimaschutz“, und auch Klimaforscher Keywan Riahi hält davon wenig. „Es ergibt keinen Sinn, wenn Europa zum Beispiel Regenwald im Amazonas kauft. Wenn sich dort die politische Lage ändert, wird der Wald möglicherweise trotzdem abgeholzt“, erklärt Riahi. Sein Gegenvorschlag: Die europäische Industrie dabei zu unterstützen, selbst CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen.
Wie sähen solche CO2-Speicher aus?
„Es gibt viele vielversprechende Technologien“, sagt Riahi. Etwa das Mahlen von Basaltgestein, das große Mengen CO2 dauerhaft speichern kann. Oder die Produktion von Pflanzenkohle: Dabei werden pflanzliche Abfälle aus der Holzindustrie oder Gärten unter Ausschluss von Sauerstoff über viele Stunden erhitzt, wodurch der Kohlenstoff, anders als bei der Verbrennung, gebunden bleibt. Übrig bleibt ein wertvolles Bodenverbesserungsmittel, das die Fruchtbarkeit erhöht und Nährstoffe speichert. In diesen Technologien Vorreiter zu werden, wäre zielführender, als sich mit Zertifikaten im EU-Ausland noch ein paar fossile Jahre zu erkaufen, erklärt Klimaforscher Riahi.