Palmensterben am Mittelmeer: Wie man die Bäume retten kann

Von Franziska Dzugan
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Man bemerkt die tödliche Gefahr in der Regel erst, wenn es zu spät ist. Unauffällig bohrt das Weibchen des Roten Palmrüsslers (Rhynchophorus ferrugineus) Löcher in die Krone einer Palme und legt 200 bis 300 Eier hinein. Weitere Weibchen tun es ihr gleich. Binnen weniger Tage entwickeln sich dicke, weiße Larven, die sich in Röhren durch den gesamten Stamm fressen. Der Baum zersetzt sich dadurch regelrecht; die zerkauten Späne vergären und treiben die Temperatur im Stamm auf bis zu 40 Grad. Das Problem: Trotz dieser inneren Verwüstung sieht die Palme von außen noch prächtig aus.
Irgendwann ist aber der Kipppunkt erreicht. „Wenn sich die ersten Blätter braun färben und zu Boden fallen, ist es für die Pflanze bereits zu spät. Sie stirbt zu 100 Prozent“, sagt Eustachio Tarasco von der Universität Bari in der süditalienischen Region Apulien. Der Biologe hat schon zahlreiche Prachtexemplare fallen sehen. „Wir haben hier in Apulien in den vergangenen zehn Jahren etwa 70 Prozent der Palmen verloren“, seufzt Tarasco im profil-Gespräch.
Aufgeben ist für den Forscher trotzdem keine Option. Unermüdlich suchen er und seine Kolleginnen im gesamten Mittelmeerraum nach natürlichen Feinden des Palmrüsslers – und nach Methoden, die Käfer zu erwischen, bevor sie unwiderruflichen Schaden anrichten können. Die Kanarischen Inseln und Slowenien sind laut einem Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aktuell „rüsslerfrei“. Wie haben sie das geschafft? Wie lässt sich der Schädling überhaupt bekämpfen? Und werden wir auch in zehn Jahren noch unter Palmen liegen können?
Lieblingsspeise Phönixpalme
Wer dieser Tage in Italien, Spanien, Frankreich oder Kroatien Urlaub macht, dem sind die traurigen Stümpfe und die Lücken in einst schmucken Alleen sicherlich aufgefallen. Befallene Palmen müssen so schnell wie möglich gefällt, Holz und Blattwerk gehäckselt werden, um die Ausbreitung des Insekts zu stoppen (Palmen werden selten verbrannt, denn ihr Holz brennt sehr schlecht).
Der Rote Palmrüssler stammt aus Südostasien, wurde in den 1980er-Jahren in den Nahen Osten verschleppt und treibt seit der Jahrtausendwende auch in Europa sein Unwesen. Das Hauptproblem ist der Handel mit den Pflanzen, durch den immer wieder befallene Palmen nach Europa gelangen. Anfangs versuchte die EU noch, mit Quarantäne gegenzusteuern, jedoch ohne Erfolg. Der Käfer ist da, und mit ihm sind die Quarantänebestimmungen gefallen. Es gibt lediglich noch Inspektionen in Baumschulen, die mit Palmen handeln.
Am besten schmecken den Larven die schönsten Palmen: Die Phönixpalme stammt von den Kanarischen Inseln und ziert mit ihren ausladenden, gefiederten Kronen fast alle Dörfer und Städte Südeuropas. Auch Kokos- und Dattelpalmen zählen zu jenen Arten, die als Erste befallen werden. Gibt es überhaupt Palmen, die dem Rüssler trotzen können? Leider nein. „Mehr als 40 Palmenarten zählen zu seinen Wirtspflanzen“, schreibt Maja Pintar vom Zentrum für Pflanzenschutz in Kroatien in dem Bericht für die Lebensmittelbehörde EFSA. Das sind alle, die am Mittelmeer wachsen.
Wie aber überleben dann die Bäume in Südostasien, die dem Schädling schon seit Jahrhunderten ausgesetzt sind? „In den Tropen hat der Palmrüssler ein engmaschiges Netz aus Feinden“, erklärt der Insektenforscher Hannes Schuler von der Uni Bozen. 50 verschiedene Arten halten den Käfer dort in Schach: Pilze, Bakterien, Fadenwürmer, Schlupfwespen und Fliegen haben es auf die fetten Larven abgesehen. Eine Zusammensetzung, die es am Mittelmeer so nicht gibt.
Impfen gegen den Rüssler
Deshalb hat Eustachio Tarasco in Apulien mit den natürlichen Feinden des Rüsslers experimentiert. Fazit: Bestimmte Pilze und Nematoden (Fadenwürmer) sind bei der Bekämpfung der Larven am effektivsten. Damit sie an Ort und Stelle wirken können, werden die Palmen sozusagen geimpft. Dazu schiebt man Schläuche von der Krone aus in den Stamm und schickt die Nützlinge in einer Flüssigkeit zu ihren potenziellen Opfern. Dieselbe Prozedur funktioniert auch mit Insektiziden in den Schläuchen – dies ist aber für die Umwelt schlechter verträglich. „Den Palmen selbst schaden weder die Schläuche noch das Insektizid oder die Nützlinge“, sagt Tarasco. Das Problem bei beiden Varianten: Man muss die Pflanzen vorbeugend oder in den ersten Tagen des Befalls impfen, sonst sind sie dem Tod geweiht.
Das ist nicht billig. Mit 50 bis 80 Euro beziffert Tarasco die Kosten für die Prozedur, die man alle ein bis drei Monate wiederholen muss. Nicht jede Kommune kann sich das leisten. Deshalb stellen Tarasco und seine Kolleginnen überall in Apulien Fallen auf. Pheromone locken die Männchen des Palmrüsslers an; werden welche gefangen, wissen die örtlichen Behörden, dass sie ihre Pflanzen impfen müssen. Sind keine Käfer im Umlauf, können sie pausieren.
Kalifornien: L.A. ohne Palmen?
Mit dem Klimawandel frisst sich der tropische Käfer immer weiter nach Norden vor. Die südeuropäischen Winter können ihm ohnehin kaum etwas anhaben. Zwar sterben die Larven bei unter 4,5 Grad ab, jedoch wird es im Inneren großer Palmen im Mittelmeerraum selten derart kühl. Mittlerweile sind auch Palmen am Gardasee befallen, nur Südtirol gilt derzeit noch als „rüsslerfrei“.
Und nicht nur Europa kämpft mit dem Insekt. Jenseits des Atlantiks arbeitet sich ein enger Verwandter, der südamerikanische Rüsselkäfer (Rhynchophorus palmarum) von Mexiko aus in Richtung Kalifornien vor. Zehntausende Bäume in den Dattelplantagen von San Diego County hat er bereits zerstört, ebenso wie viele Schmuckpalmen in und um die Stadt San Diego. Nun fürchten Forschende und Behörden im knapp 200 Kilometer nördlich gelegenen Los Angeles um die ohnehin überalterten, ikonischen Palmen am Beverly Drive und am South Windsor Boulevard. „Der Rüsselkäfer kann fliegen, er wird San Diego mit ziemlicher Sicherheit verlassen und sich in Orange County, Los Angeles County, Riverside County und anderen Regionen verbreiten“, warnt der Biologe Mark Hoddle von der University of California. Mit seinen Pheromonfallen ist er den Käfern auf der Spur, zuletzt fand er sie gehäuft in den Palmenplantagen des noch näher an L.A. gelegenen Coachella Valley.
Österreich: Japankäfer statt Palmrüssler
Und wie steht es um die Palmen in Österreichs berühmten Glashäusern wie dem Palmenhaus in Schönbrunn? „In Österreich ist der Rote Palmrüssler bisher kein Problem“, sagt Christina Topitschnig von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages). Auch die aus Südamerika stammende Palmenmotte, die mittlerweile ebenfalls in Südeuropa eingeschleppt wurde, aber zum Glück weniger Schäden anrichtet, kommt hierzulande nicht vor. Topitschnig rechnet auch nicht so bald mit der Etablierung der Insekten: „Die Alpen können eine natürliche Barriere sein, die Winter sind hier immer noch zu kalt. Aber wir müssen wachsam bleiben“, sagt sie.
Mehr Sorge bereitet der Pflanzengesundheitsexpertin der Japankäfer, der in Italien und der Schweiz in den vergangenen Jahren in Weingärten und Obstplantagen große Schäden angerichtet hat. Das Insekt, das dem heimischen Gartenlaufkäfer ähnlich sieht, ist nicht wählerisch. Seine Larven können sogar den Rasen eines Fußballplatzes vernichten. „Wir erwarten, dass der Japankäfer heuer auch bei uns zum ersten Mal gefunden wird“, sagt Topitschnig. Geht ein Exemplar in eine der Fallen, heißt es, in der betroffenen Region schnell zu handeln. Möglich macht das ein flächendeckendes Monitoring: In ganz Österreich wird mit Lockstofffallen nach dem Japankäfer gefahndet.
Wie erfolgreich der Kampf gegen einen eingeschleppten Schädling sein kann, zeigt das Beispiel der marmorierten Baumwanze. Sie saugt mit ihrem Stachel gern an Pfirsichen, Birnen, Kirschen sowie an Zitrusfrüchten und richtete im italienischen Obstbau in den vergangenen Jahren massive Schäden an. Dann schlossen sich mehrere Unis und Forschungseinrichtungen zusammen, um den geeigneten Gegenspieler zu finden. Sie entdeckten ihn in einer Schlupfwespenart, die sie gezielt züchteten und in großer Zahl frei ließen. Damit bekam man die Wanze in Italien unter Kontrolle – und auch Österreich profitierte von der erfolgreichen Aktion. Die marmorierte Baumwanze ist zwar da, aber die Population ist zu klein, um dem Obstbau ernsthaft zu schaden.
So weit ist man mit dem Palmrüssler noch nicht. Aber immerhin: Die Kanarischen Inseln haben es mit Impfungen, konsequentem Monitoring und strengen Einfuhrkontrollen geschafft, den Schädling auszurotten. Slowenien setzt ebenfalls auf konsequentes Monitoring. Den Käfer auf dem Festland völlig loszuwerden, ist allerdings illusorisch. „Der Rüssler ist da, und er wird bleiben“, sagt Tarasco. Wer seine Palmen behalten will, muss wohl oder übel Geld in die Hand nehmen.
Larven als Delikatesse
Oder kreativ werden, so wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Seit zwei Jahren propagiert sie bei jeder Gelegenheit, jene Plage zu essen, die über Italiens Küsten hergefallen ist: die Blaukrabbe. Die Schalentiere stammen ursprünglich von der Ostküste der USA, gefährden im Mittelmeer heimische Arten sowie die Fischerei – und schmecken Meloni zufolge „hervorragend“.
Das gilt angeblich auch für die dicken Larven des Roten Palmrüsslers. Sie enthalten viel Protein und werden in Vietnam auf dem Markt verkauft. „Als Delikatesse wohlgemerkt“, sagt der Insektenforscher Hannes Schuler.

Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.