Beim Astronautinnentraining lernt man, wie man Leben auf einem fremden Planeten erkennt, wenn man es findet. Woran erkennt man Aliens?
Carmen Possnig
Das ist gar nicht so leicht. Wir reden hier von mikrobiellem Leben, also von Lebewesen mit wenigen Zellen. Alle Raumsonden, Roboter und Raumschiffe werden sterilisiert, bevor sie ins Weltall fliegen. Auch die Raumanzüge werden penibel sterilisiert. Aber wir Menschen sind voller Mikroben, und wenn ich jetzt auf dem Mars Gesteinsproben nehmen würde und eine Mikrobe fände, müsste ich mittels DNA-Analyse prüfen, ob ich sie nicht selbst mitgebracht habe. Aber auch dann könnte ich nicht völlig sicher sein.
Warum?
Possnig
Es gibt die Theorie, dass das Leben auf der Erde einst vom Mars gekommen ist: Durch einen Meteoriten, der erst auf dem Mars einschlug, von dort Material mitnahm und dann auf die Erde krachte.
Kleine grüne Männchen wären leichter zu identifizieren.
Possnig
Stimmt. Solche zu finden ist aber unwahrscheinlich.
Die Zukunft hat gerade einen schlechten Ruf. Angesichts von Kriegen und der Klimakrise sehen viele die Apokalypse vor der Tür. Wie schauen Sie in die Zukunft?
Possnig
Ich bewege mich viel unter Menschen, die Weltraumforschung betreiben. Wir arbeiten an dem Langzeitziel, nach dem Ende der ISS 2030 eine Forschungsbasis aufzubauen, die permanent um den Mond kreist und später als Sprungbrett zum Mars dient. Das gibt mir wahnsinnig viel und macht mich optimistisch.
Carmen Possnig mit ihren Kolleginnen Meganne Christian und Anthea Comellini
Ist der Gedanke im All zu schweben, während auf der Erde Chaos herrscht, auch beruhigend?
Possnig
Es macht sicher etwas mit einem, die Erde von oben zu sehen – und zwar ohne Grenzen. Und auf der ISS spielt es keine Rolle, ob man aus Europa, den USA oder aus Russland stammt. Man hat dort oben keine Wahl, außer kollegial zusammenzuarbeiten.
Reden Sie mit internationalen Kollegen und Kolleginnen über Kriege oder Politik?
Possnig
Wir reden hauptsächlich über Weltraumpolitik.
Sie sind seit 2022 eine von elf Reserveastronautinnen und -astronauten bei der europäischen Weltraumorganisation ESA. Wann hoffen Sie, ins All zu fliegen?
Possnig
Zwei meiner Kollegen waren bereits für jeweils ein paar Wochen auf der Raumstation ISS. Ich bin optimistisch, dass es auch für mich klappen wird. Wenn nicht jetzt, dann vielleicht in fünf Jahren. Für heimische Forschungseinrichtungen wäre das eine einzigartige Chance: Das gesamte wissenschaftliche Programm wird bei einer solchen Mission von Österreich gestaltet. Österreich ist in manchen Bereichen Weltklasse, etwa in der Quantentechnologie. Im All könnten wir zum Beispiel spannende Studien zur abhörsicheren Kommunikation mittels Quanten machen.
Wer entscheidet am Ende, ob Sie drankommen?
Possnig
Für die ESA sind wir im Prinzip alle „ready to fly“. Es ist aber eine politische Entscheidung: Österreich muss zustimmen, weil es den Staat Investitionen kostet. Dafür gibt so eine Mission der Wissenschaft einen ordentlichen Schub. Die Inspiration für junge Menschen ist auch nicht zu unterschätzen. Es ist unglaublich, welche Aufmerksamkeit die Mission meines eben zurückgekehrten polnischen Kollegen in seiner Heimat bekommen hat.
Gibt es ein Ablaufdatum für Weltraumreisende?
Possnig
Nicht, solange man körperlich fit ist. Es gab schon Astronauten, die mit über 70 Jahren ins All geflogen sind.
Auch eine Tauchausbildung gehört zum ESA-Training.
Sie mussten sich beim Auswahlverfahren der ESA gegen 22.500 Mitbewerber durchsetzen. Wie tritt man gegen so viel Konkurrenz an?
Possnig
Die Idee kam mir während meines 13-monatigen Forschungsaufenthalts in der Antarktis. Drei meiner Kolleginnen wollten sich bei der ESA bewerben und da dachte ich mir: Das probiere ich auch. Im eineinhalb Jahre dauernden Bewerbungsprozess habe ich nicht damit gerechnet, es zu schaffen. Ich sah es eher wie ein Spiel, wie weit ich kommen würde. Außerdem habe ich beim ersten Termin sechs Leute kennengelernt, mit denen ich mich intensiv auf die Tests vorbereitet habe. Drei von uns haben es ins Reserveteam geschafft. Das ist für mich ein starkes Zeichen, dass Teamwork zum Erfolg führt.
In Filmen sind Astronauten oft Draufgängerinnen oder Anführer. Sind solche Typen in der Realität auch gefragt?
Possnig
Man sollte schon die Führung übernehmen können, das trainieren wir auch. Aber ganz wichtig ist es, auch Follower sein zu können. Bei einem medizinischen Notfall würde ich als Ärztin die Führung übernehmen, bei einem technischen Gebrechen wäre es klarerweise die Ingenieurin.
Eine Aufgabe im Bewerbungsprozess war ein Gespräch mit einem erfahrenen Astronauten, der beurteilen sollte, ob er mit Ihnen ins All fliegen würde. Was wollte er von Ihnen wissen?
Possnig
Er wollte vor allem herausfinden, ob mir klar ist, dass ein Weltraumflug kein Spaziergang ist und durchaus gefährlich sein kann. Er hatte eine sehr ernste Miene, machte sich viele Notizen und ich hatte noch wochenlang Albträume von dieser Situation. Später fragte ich ihn, wie ich damals abgeschnitten hatte. Er antwortete: „Wenn ich dich durchgelassen habe, musst du sehr gut gewesen sein.“
Suni Williams und Barry Wilmore sollten 2024 nur eine Woche auf der ISS bleiben, doch wegen einer Panne wurden daraus mehr als neun Monate. Bereiten Ihnen solche Ereignisse auch Albträume?
Possnig
Es hängt natürlich von der Situation ab. Aber je mehr Zeit man dort oben verbringen kann, desto mehr Experimente und Erfahrungen kann man machen.
Früher waren Astronauten ausschließlich männlich. Wie werden die Crews heute besetzt?
Possnig
Bei NASA und ESA wird heute fast fifty-fifty ausgewählt. Das liegt auch daran, dass sich viel mehr Frauen bewerben als früher. Ich bin 1988 geboren und habe die Raumfahrt nie als reinen Männerberuf betrachtet. Was ich damals nicht wusste, ist, dass man mit den verschiedensten Studien Weltraumforschung betreiben kann. Medizin, Philosophie, Ethik, Jus und viele mehr. Weltraumjuristen beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage, wem der Mond gehört und was passiert, wenn dort oben jemand ein Verbrechen begeht.
„Während meiner Zeit in der Antarktis hat ein Forscher seinem Kollegen ein Buttermesser in den Oberkörper gerammt.“
Sie verbrachten 2017 und 2018 13 Monate in der antarktischen Forschungsstation Concordia. Vergangenen März setzte ein Team auf der Station Sanae, ebenfalls in der Antarktis, einen Notruf ab. Eines der neun Mitglieder der Crew hatte den Teamleiter mit dem Tod bedroht. Können Sie sich vorstellen, wie es zu so einer Situation kommt?
Possnig
Es kommt immer wieder vor, dass Menschen dort aggressiv werden. Während meiner Zeit in der Antarktis hat in einer russischen Station ein Forscher seinem Kollegen ein Buttermesser in den Oberkörper gerammt. Das Motiv für die Tat: Das Opfer hatte seinem Angreifer den ganzen arktischen Winter lang die Enden seiner Romane gespoilert.
Hat der Mann überlebt?
Possnig
Ja. Zum Glück war es am Ende der Saison und er konnte evakuiert werden. Was mich heute erstaunt, ist unsere Reaktion von damals. Wir meinten: Der Mann war selber schuld, warum hat er auch gespoilert? Aus heutiger Sicht ist das absurd, aber damals sind wir selbst schon elf Monate aufeinandergesessen und konnten das irgendwie nachvollziehen.
Gab es auf Ihrer Station ebenfalls brenzlige Situationen?
Possnig
Gerade während der vier Monate in völliger Dunkelheit kann es schon zu einem Drama führen, wenn einer beim Abwasch immer eine Minute früher geht als die anderen. Wir wussten das und sprachen deshalb jeden noch so kleinen Konflikt an. Trotzdem gab es ein, zwei Situationen, die fast in einer Schlägerei geendet wären. Außerdem hatten wir einen Kollegen, dessen Büro sich nahe dem einzigen Computer befand, der Skype installiert hatte. Jede und Jeder redete von dort aus mit der Familie und mit den Psychologen. Nach zehn Monaten gestand uns der Kollege, dass er praktisch alle Gespräche mitangehört hatte.
Hat dieses Geständnis nicht zu einem Riesenkonflikt geführt?
Possnig
Das wäre bestimmt passiert, wenn wir da nicht schon in Gedanken beim Packen gewesen wären. Wir dachten uns, jetzt ist es auch schon egal. Und ich war heilfroh, dass er kein Deutsch konnte.
Sie haben in der Antarktis geforscht. Was haben Sie herausgefunden?
Possnig
Wie das Immunsystem auf die sehr sterile Umgebung reagiert. Wir waren 13 Menschen, von außen kamen keine Erreger herein, deshalb waren wir nie krank. Meine Blutanalysen zeigten, dass unsere Immunzellen in eine Art Winterschlaf fielen. Wenn dann aber ein Erreger daherkam, reagierten sie völlig übertrieben. Als nach elf Monaten andere Forschende zu uns kamen, lagen viele von uns wegen eines harmlosen Schnupfenvirus tagelang mit hohem Fieber im Bett.
An der Uni Innsbruck machen Sie aktuell sogenannte Bettruhestudien – dafür haben Sie und andere zwei Tage lang das Laborbett nicht verlassen. Was haben Sie herausgefunden?
Possnig
Wir wussten schon vorher, dass durch langes Liegen der Blutfluss langsamer wird. Wir montierten einen Stepper am Bettende, mit dem man im Liegen kleine Schritte machen konnte. Das erhöhte den Blutfluss wieder. Das ist sowohl für chronisch kranke Menschen wichtig als auch für Raumfahrende, deren Blutfluss durch die Schwerelosigkeit ebenfalls abnimmt.
Wo im Weltall würden Sie eigentlich am liebsten hin?
Possnig
Zuerst zum Mond, dann zum Mars. Ich bin so gespannt, wie es ist, die Erde aus dem Blick zu verlieren und dann auf dem Mars zu stehen, der vor Millionen von Jahren der Erde sehr ähnlich war.
Sie wären zum Mars hin und zurück mindestens drei Jahre unterwegs. Schreckt Sie das nicht?
Possnig
Nicht, wenn die Leute, mit denen ich fliege, gut ausgewählt werden.
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Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.