Die Qual der Finanzprodukt-Auswahl
Arbeit macht das Leben süß. Aus dem süßen Leben wird aber nichts, wenn man nicht auch parallel dazu sein Geld arbeiten lässt. Und nicht nur das: Sich rechtzeitig und solide finanziell abzusichern, kann selbst den bitteren Phasen der Biographie zumindest eine Schokohülle verpassen.
Um auch in bewegten Zeiten oder im Fall privater oder gesundheitlicher Probleme seinen Lebensstandard zu halten, sollte man daher seine finanziellen Ressourcen verantwortungsvoll absichern und veranlagen. Aber wie – und vor allem wo? Immerhin existieren laut Statista weltweit rund 140.000 Investmentfonds, laut OECD rund 44.000 börsennotierte Unternehmen und laut der unabhängigen Kryptowährungsdaten-Plattform CoinGecko rund 17.000 Kryptowährungen. Banken soll es je nach Schätzung weltweit zwischen 25.000 und 140.000 geben. Und schon allein für Österreich kam Statista im Jahr 2022 auf 41 Versicherungsunternehmen.
Das macht die Auswahl passender Finanzprodukte (nicht nur) für Laien etwas unübersichtlich. Darum hat profil Extra sechs unabhängige Profis nach dem richtigen Weg und den Stolpersteinen zum passenden Portfolio befragt. Ihr gemeinsamer Tenor: Der Aufbau und das Managen des eigenen Vermögens verlangen kühlen Kopf, Geduld, Disziplin und den Mut, lästige Fragen zu stellen. Und das Verbinden zweier Widersprüche: Man sollte beim Investieren zwar nichts überstürzen, aber besser gestern als heute damit anfangen.
Bernd Lausecker, Projektleiter für Untersuchungen beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), warnt beim Investieren vor allem vor Unwissenheit und Leichtgläubigkeit.
profil Extra: Was sind die gefährlichsten Fallen für Anleger:innen?
Bernd Lausecker
Erstens überzogene Ertragserwartungen und in diesem Sinne zu leichtsinniges Eingehen von riskanten Anlagen. Dabei wird oft die Relation von Chance und Risiko ignoriert. Zweitens der Geheimtipp von Freunden und Verwandten. Anlageempfehlungen von Personen, zu denen man soziale Bindungen hat, werden zu wenig kritisch betrachtet. Drittens: Unkenntnis über das Produkt. Oft hat der Anleger bestimmte Vorstellungen über ein Produkt und prüft diese nicht tatsächlich ab, oder er ist gehemmt, vermeintlich einfache Fragen zu stellen. Abgeschlossen sollte nur werden, was man wirklich versteht. Und viertens: Allles auf ein Pferd zu setzen. Geht das schief, ist oft ein Großteil des Vermögens weg.
Was führt beim Investieren häufig zu Enttäuschungen?
Bernd Lausecker
Garantieversprechen, die nur eine eingeschränkte Garantie bieten. Einschränkungen werden von Anleger:innen nicht wahrgenommen und eine Garantie wird als allumfassend verstanden. Wird eine Garantie dann ausgestoppt, ist das Unverständnis dafür groß. Man sollte auch keinen Hypes hinterherlaufen. Oft wird eine rasante vergangene Entwicklung als Basis einer Empfehlung genommen und diese dann in die Zukunft projiziert, zumindest annähernd. Ein Beispiel: Bitcoin erlebte in den vergangenen fünf Jahren eine Performance von + 1.000 Prozent. Das wird wieder erwartet, aber man realisiert nicht, dass sich der Kurs dafür von aktuell 122.000 US-Dollar (Stand: Anfang Oktober 2025) auf rund 1,3 Millionen US-Dollar entwickeln müsste. Auch eine Aktie springt leichter von einem auf zwei Euro als von 10.000 auf 20.000 Euro. Dafür existieren bei den optisch günstigen Wertpapieren oft andere Risiken. Auch die Unkenntnis der Produkteigenschaften ist so ein Thema – etwa über Kündigungsfristen oder nicht offen sichtbare Kosten wie z. B. Verwaltungsgebühren etc.
Welcher – ganz im Vertrauen weitergeflüsterte – Geheimtipp sollte mich stutzig machen?
Bernd Lausecker
Eigentlich jeder. Geheimtipps sind, sobald sie weitererzählt werden, bereits vielen bekannt, oder es sind Insiderinformationen, die nicht ausgenutzt werden dürfen. Jeder Tipp, dessen Gewinnversprechen deutlich über der üblichen Marktrendite liegen, hat im besten Fall auch entsprechende Risiken. Im schlechtesten Fall ist es ein Scam oder ein Pyramiden-Schema.
Bettina Fuhrmann, Vorständin des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien und Leiterin des WU Kompetenzzentrums für Finanzbildung, rät, klare Ziele zu definieren und keine Scheu vor lästigen Fragen zu haben.
Wie wähle ich Finanzprodukte aus, die zu mir passen?
Bettina Fuhrmann
Zunächst ist es wichtig, sich über seine eigenen finanziellen Ziele und über die finanziellen Möglichkeiten klar zu werden: Was will ich erreichen? Und wie viel Geld habe ich zur Verfügung? Dann geht es darum, verschiedene Produkte und ihre Konditionen genau zu vergleichen und bei Unklarheiten keine Scheu vor Fragen zu haben. Die gewählten Produkte müssen nicht nur zu den Lebensverhältnissen passen, sondern auch zur Risikobereitschaft.
Welche Hausaufgaben muss ich vor dem Investieren erledigen?
Bettina Fuhrmann
Eine sorgfältige Haushaltsplanung machen: Wie viel bleibt mir monatlich zum Investieren übrig? Sicherstellen, dass auf dem Girokonto genügend Geld für laufende Ausgaben vorhanden bleibt. Prüfen, ob ich einen ausreichend großen Notgroschen habe. Investieren erst dann, wenn es rund drei Nettomonatsgehälter als Notgroschen z. B. als Sparguthaben, Tagesgeld oder Festgeld gibt. Analysieren, wie viel Risiko ich eingehen kann und will und wie lange mein Anlagehorizont ist. Wichtige Kriterien definieren, etwa Investitionen in nachhaltige Projekte oder Branchen.
Was ist der größte Fehler, den viele aus Unwissenheit machen?
Bettina Fuhrmann
Zu glauben, dass man fürs Investieren und Vorsorgen schon viel Geld haben müsse, dass es nur etwas „für die Reichen“ sei. Dass man mehr verlieren könne als gewinnen. Und dass man auf den Zeitpunkt warten müsse, bis die Kurse „optimal“ sind.
Wilhelm Ralf Kindlinger, Geschäftsführer bei der Honorarberatung WIKIFINIA, rät bei der Veranlagung zu Diversifikation, Disziplin und geduldiger, langfristiger Strategie.
Welche Säulen sind für meine Vorsorge unerlässlich?
Wilhelm Ralf Kindlinger
Eine solide Haushaltsführung, z. B. in Form des Vier-Konten-Modells. Ein Notgroschen und keine Konsumschulden. Die richtige Absicherung gegen existenzielle Risiken. Konsequent zu diversifizieren und dabei langfristig zu denken.
Was muss ich selbst wissen, wobei sollte ich mir von Expert:innen helfen lassen?
Wilhelm Ralf Kindlinger
Ein Grundverständnis für Geld und Finanzen hilft, ist aber keine Voraussetzung. Bei komplexen Themen wie Vorsorge oder Vermögensaufbau lohnt sich unabhängige, honorarbasierte Beratung ohne Verkaufsdruck. So entstehen langfristige Strategien statt kurzfristiger Produktverkäufe.
Wie unterscheide ich gute von schlechten Beratungsleistungen?
Wilhelm Ralf Kindlinger
Vorsicht ist geboten, wenn hohe Renditen versprochen und Verkaufsdruck ausgeübt wird – dann handelt es sich meist um Verkäufer:innen, keine Berater:innen. Gute Beratung ist transparent, unabhängig und individuell. Wer offenlegt, wie er verdient, und nicht auf Provisionen von Produktanbietern angewiesen ist, handelt im Interesse der Kund:innen.
Womit kann ich innerhalb eines Jahres gute Gewinne machen, wenn ich heute investiere?
Wilhelm Ralf Kindlinger
Seriöse Berater:innen versprechen keine schnellen Gewinne. Wer behauptet, man könne innerhalb eines Jahres sichere oder gar hohe Renditen erzielen, ist nicht glaubwürdig. Sicher sind Sparbuch oder Geldmarktfonds, sie bringen aber meist weniger als die Inflation. Wer Vermögen aufbauen will, braucht Zeit, Disziplin und Diversifikation, nicht kurzfristige Spekulation.
Marietta Babos, Gründerin der Finanz- und Vorsorgeplattform Damensache, unterstützt Frauen am Weg zu einem finanziell selbstbestimmten Leben. Ihr Rat: Heute mit der Vorsorge beginnen.
Warum ist es für Frauen besonders wichtig, finanziell vorzusorgen?
Marietta Babos
Frauen verdienen in Österreich im Schnitt rund 18 Prozent weniger als Männer, arbeiten häufiger in Teilzeit und leisten den Großteil unbezahlter Care-Arbeit. Das führt zu einer rund 40 Prozent niedrigeren Pension. Ich habe in meiner eigenen Familie gesehen, wie schnell sich das Leben verändern kann. Der plötzliche Tod meines Vaters hat meine Mutter von einem Tag auf den anderen in eine sehr unwürdige finanzielle Situation gebracht. Finanzielle Vorsorge ist daher kein Luxus, sondern eine Frage der Selbstbestimmung. Wer seine Finanzen aktiv gestaltet, trifft Lebensentscheidungen freier – beruflich, familiär und persönlich.
Aber bis zur Pension ist es doch noch so lange hin …
Marietta Babos
Gerade deshalb! Denn Zeit ist bei der Geldanlage der wichtigste Erfolgsfaktor. Wer früh beginnt, profitiert vom Zinseszinseffekt – kleine, regelmäßige Beträge können über Jahrzehnte Großes bewirken. Ich sage oft: „Der beste Moment, mit Vorsorge zu beginnen, war gestern. Der zweitbeste ist heute.“ Das Entscheidende ist, überhaupt anzufangen. Denn wer wartet, bis „mehr Geld übrig ist“, fängt oft nie an. Auch kleine Schritte – ein monatlicher Dauerauftrag oder ein erster ETF-Sparplan – verändern langfristig alles. Jede Frau sollte sich selbst die Frage stellen: Was ist mir meine finanzielle Freiheit wert?
Was tun, wenn ich zwar gerne anlegen möchte, aber im Alltag keine großen Abstriche machen kann oder will?
Marietta Babos
Finanzielle Unabhängigkeit entsteht nicht durch Verzicht, sondern durch Struktur und Planung. Schon ab 50 Euro im Monat lässt sich über breit gestreute Fonds oder ETFs langfristig Vermögen aufbauen. Entscheidend dafür ist, regelmäßig und automatisiert zu investieren. So fällt die emotionale Hürde weg, und das Geld arbeitet im Hintergrund. Ich rate, den Fokus nicht auf Verzicht zu legen, sondern auf Prioritäten. Eine bewusste Entscheidung für Sparen und Investieren bedeutet nicht, auf Lebensfreude zu verzichten – im Gegenteil: Es schafft Ruhe und Freiheit. Geldanlage soll das Leben nicht einschränken, sondern absichern. Wer konsequent, aber entspannt investiert, wird langfristig belohnt.
Christian Prantner, Finanzdienstleistungsexperte bei der Arbeiterkammer (AK), hat beim Investieren immer ein Auge auf die Nebenkosten – und kennt viele, die beim Anlegen das Kleingedruckte überlesen haben.
Was sind die häufigsten Beschwerden über Finanz-/Vorsorgeprodukte, die auf Ihrem Schreibtisch landen?
Christian Prantner
Dass Lebensversicherungen nicht jenen Ertrag abwerfen, mit denen sie beworben wurden. Dabei sind „alte“ Lebensversicherungsverträge noch im Vorteil, weil sie einen höheren Garantiezinssatz beinhalten. Bei neueren Verträgen sind auch Kapitalleistungen am Ende der Laufzeit möglich, die unter der einbezahlten Prämiensumme liegen.
Was ist der beste Weg, meine Pension aufzubessern?
Christian Prantner
Nehmen Sie sich Zeit für die Entscheidung. Überlegen Sie sich, wie Ihr finanzieller Bedarf bei Pensionsantritt sein könnte, mit welchen Pensionsbezügen Sie rechnen können und wie sich Ihre Ausgabenstruktur verändern wird. Ziehen Sie für eine Lebensversicherung ein kostengünstiges Produkt in Erwägung – provisionsfreie Lebensversicherungen haben leider noch immer Seltenheitswert. Und achten Sie bei Investmentfonds auf allfällige Nebenkosten. Auf bankenrechner.at/fondsrendite kann man berechnen, wie die Kostendynamik auf die Erträge „drücken“ kann.
Die Investment-Tipps, die mir in den Sozialen Medien ausgespielt werden, klingen verlockend. Aber wie erkenne ich, ob sie auch seriös sind?
Christian Prantner
Ein einfaches Rezept, um übertriebene oder gar betrügerische Werbung zu erkennen: Finger weg, wenn Ihnen jemand garantierte sieben Prozent Rendite und mehr verspricht!
Ihr wichtigster Vorsorge-Tipp?
Christian Prantner
Nehmen Sie für Investments oder Altersvorsorge keinen Kredit auf, überziehen Sie Ihr Konto nicht. Auch Kleinvieh macht Mist. Jedes angesparte Kapital kann Pensionsvorsorge sein.
Hannes Dolzer, WKO-Fachverbandsobmann der Finanzdienstleister, empfiehlt, nicht nur bei der Auswahl von Finanzprodukten genau hinzusehen, sondern auch bei der Wahl der richtigen Berater:innen.
Ich sehe den Wald vor lauter Finanzprodukt-Bäumen nicht! Wie orientiere ich mich?
Hannes Dolzer
Ich sollte mir als Erstes über Folgendes Gedanken machen: Was ist der Anlagezweck, das Ziel? Wofür ist das Geld wann gedacht? Es kann auch mehrere Ziele und Zeitpunkte geben, zum Beispiel Pension, Ausbildung der Kinder, Immobilienerwerb, Anschaffungen, schöne Urlaube, eine langfristige Finanzreserve bzw. freies Kapital aufbauen, die „Inflationsrate schlagen“. Weiters sollte ich mich fragen: Welche Ertragserwartung („Zinsen“) habe ich? Welche Risikoneigung habe ich? Bin ich sehr vorsichtig, will ich gar kein Risiko oder bin ich bereit, auch stärkere Wertschwankungen (für höhere Ertragschancen) in Kauf zu nehmen? Ist sichergestellt, dass ich das Geld, das ich veranlage, in der nächsten Zeit nicht brauche? Habe ich ein finanzielles Polster (drei bis sechs Monatsgehälter verfügbar am Konto oder auf einer Sparcard)? Und kenne ich mich überhaupt bei Finanzprodukten aus? Wenn nein: Woher bekomme ich das nötige Wissen?
Was sind die drei häufigsten Anlagefehler?
Hannes Dolzer
In Produkte zu investieren, die man nicht (wirklich) versteht und deren Chancen und Risiken man nicht einschätzen kann. Zu glauben, dass es mit Finanzprodukten immer nur bergauf geht. Und: zu viel Gier. Leider lassen sich viele immer wieder von besonders positiven Entwicklungen blenden.
Was zeichnet eine:n gute:n Finanzdienstleister:in aus?
Hannes Dolzer
Er oder sie geht auf die Vorstellungen von Anleger:innen ein, erklärt Finanzprodukte ausreichend und achtet darauf, dass die empfohlenen Produkte zu den Kund:innen passen (und nicht umgekehrt). Und er oder sie hat eine große Auswahl an Veranlagungsprodukten.
Finanziell auf der sicheren Seite bin ich, wenn ich …
Hannes Dolzer
... eine ausreichende kurzfristige Finanzreserve und meinen Ruhestand finanziell abgesichert habe, bzw. den Weg dazu schon eingeschlagen habe. Und wenn ich ein Auskommen mit meinem Einkommen habe, wenn ich also den Kauf von Konsumgütern oder Urlauben nicht über Kredite oder Kontenrahmen mache oder machen muss.
Text: Alexander Lisetz