Haimbuchner wettert gegen die Pflichtmitgliedschaft – mit einer Falschbehauptung
Das, was wir wirklich benötigen in Österreich, ist ein Ende der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. (...) Das gibt es international überhaupt nirgendwo.
Instagram-Video, 11.11.2025
Falsch
Seit Donnerstag ist Harald Mahrer (ÖVP) als Wirtschaftskammer-Präsident Geschichte. Seiner Nachfolgerin Martha Schultz (ÖVP) hinterlässt er nicht nur ein ramponiertes Image der Unternehmensvertretung — die Debatte war für FPÖ und Neos ein willkommener Anlass, eine alte Forderung zu ventilieren: die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. Am Dienstag sagte der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) in einem Video auf seinem Instagram-Kanal: „Das, was wir wirklich benötigen in Österreich, ist ein Ende der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Denn das ist ja sowieso überhaupt ein Wahnsinn, was sich da abspielt. Das gibt es international überhaupt nirgendwo.“
Nur: Öffentlich-rechtliche Gesetzesvertretungen mit Pflichtmitgliedschaften gibt es international sehr wohl. Zum Beispiel in Deutschland, Frankreich, Italien oder Luxemburg.
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So funktioniert das österreichische System
Wer in Österreich ein Unternehmen führt, kommt an der Wirtschaftskammer nicht vorbei. Es gibt keine Möglichkeit, auszutreten. Alle natürlichen und juristischen Personen, die berechtigt sind, eine Unternehmung im gewerblichen Bereich selbstständig zu betreiben, sind automatisch Mitglied bei der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Diese Pflichtmitgliedschaft kostet und baut auf einem System mit drei Säulen. Die Beiträge hängen von der Unternehmensgröße ab.
Die Kammerumlage 1 ist das Kernstück der Finanzierung. Sie trifft alle Mitglieder, die eine bestimmte Umsatzschwelle überschreiten. Die Höhe richtet sich nach dem im Inland erzielten Umsatz – vierteljährlich wird kassiert. Je mehr Umsatz, desto mehr muss an die WKO abgeführt werden.
Parallel dazu gibt es die Kammerumlage 2 (KU2). Diese ist für Unternehmen mit Dienstnehmern gedacht. Hier zählt die Lohnsumme der Beschäftigten, die KU2 wird jeden Monat fällig.
Die dritte Säule ist die Grundumlage. Diese legen die Fachgruppen und Fachvertretungen selbst fest – meist nach festen Beträgen oder der Mitarbeiterzahl. Sie muss einmal pro Jahr überwiesen werden.
Ausnahmen gibt es für ganz kleine Unternehmen und Neugründungen. Hier sieht das System Freibeträge und Erleichterungen vor, sodass nicht automatisch jeder den vollen Beitrag leisten muss. Das System ist damit ein Mix aus Pflicht und Staffelung – orientiert an der Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens.
Die Gehaltsdebatte der WKO
Am 3. November 2025 berichtete die „Die Presse“, dass die Gehälter der 5800 Wirtschaftskammer-Beschäftigten ab 2026 um 4,2 Prozent – und damit über der aktuellen Inflation – ansteigen sollen. Weil die Kammer selbst stets Lohnzurückhaltung einforderte, erklärte Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP), dass die Erhöhung halbiert werden solle. Einen Tag später wurde bekannt, dass die Erhöhung nicht halbiert werde, sondern lediglich um ein halbes Jahr verschoben werde, also ab Juli 2026 gelten solle. In den Tagen darauf mehrte sich Kritik an Mahrer, sowohl aus dem Unternehmertum als auch aus seiner eigenen Partei. Der Druck auf ihn wurde schließlich so groß, dass er am 13. November 2025 seinen Rücktritt als Kammerpräsident ankündigte.
Deutschland: Fast 40 Prozent zahlen nichts
Ganz ähnlich läuft es im deutschen Nachbarland. Dort sind alle gewerblich tätigen Unternehmen aus der Industrie, dem Handel und im Dienstleistungssektor Mitglieder einer der 79 Industrie- und Handelskammern (IHK). Ausgenommen davon sind Freiberufler, also Ärztinnen und Ärzte, Architektinnen und Architekten, Anwältinnen und Anwälte. Sie organisieren sich, wie in Österreich auch, in eigenen Kammern.
Wie die Wirtschaftskammer Österreich übernimmt die IHK in Deutschland Tätigkeiten wie die Abnahme von Prüfungen, beraten Unternehmen und vertreten deren Interessen gegenüber Politik und Behörden.
Die Beiträge werden von den 79 Industrie- und Handelskammern individuell festgelegt – jeweils durch Beschluss der Vollversammlungen, die aus den eigenen Mitgliedern gewählt werden. Die Höhe schwankt daher – ähnlich wie in Österreich – stark. Gesetzlich ist der Rahmen für die Beitragserhebung aber klar vorgegeben: Es gibt einen Grundbeitrag und eine zusätzliche Umlage. Kleinbetriebe, deren Gewerbeertrag oder Gewinn aus Gewerbebetrieb unter bestimmten Grenzen bleibt, sind davon befreit. Gleiches gilt unter bestimmten Voraussetzungen für Existenzgründer. „Insgesamt zahlen damit fast 40 Prozent aller IHK-Mitgliedsbetriebe überhaupt keinen Beitrag“, schreibt ein Sprecher der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) auf profil-Nachfrage.
Für die übrigen Unternehmen richtet sich die Höhe der Beiträge nach der Gewerbesteuer: je leistungsstärker das Unternehmen, desto höher der Beitrag. Aktuell liegen die Mindestgrundbeiträge je nach IHK zwischen 8 und 68 Euro pro Jahr. Hinzu kommt gegebenenfalls eine Umlage, die am Ertrag oder Gewinn bemessen wird und im Schnitt bei 0,173 Prozent liegt. Bei der IHK München macht dieser Betrag für Kleingewerbetreibende bis 50.000 Euro Jahresgewinn etwa 90 Euro aus, für eine eingetragene Kapitalgesellschaft mit einer Bemessungsgrundlage von einer halben Million Euro Gewinn sind es circa 750 Euro.
Pflicht auch in Frankreich, Italien und Luxemburg
Pflichtmitgliedschaften gibt es aber nicht nur in Österreich und Deutschland. Auch in Frankreich, Italien oder Luxemburg ist die Interessensvertretung der Unternehmen ähnlich geregelt.
In Frankreich müssen Gewerbetreibende automatisch Mitglied der Handelskammern (Chambres de commerce et d'industrie, CCI) oder Handwerkskammern (Chambres de métiers et de l'artisanat, CMA) werden. Diese Kammern sind öffentliche Verwaltungseinrichtungen unter staatlicher Aufsicht. Finanziert werden sie über eine verpflichtende Abgabe, die sich aus einem Zuschlag zur Unternehmensgrundsteuer (CFE) und einem Beitrag auf die Wertschöpfungssteuer (CVAE) zusammensetzt. Wer im Handels- oder Handwerksregister eingetragen ist, muss also auch die Kammerabgabe leisten.
In Italien sind alle Unternehmen, die im Handelsregister (Registro delle imprese) eingetragen sind, automatisch Mitglieder der Handelskammern (CCIAA). Diese öffentlich-rechtlichen Körperschaften finanzieren sich aus der jährlichen Pflichtgebühr (diritto annuale), deren Höhe entweder festgelegt ist – für Einzelunternehmen – oder sich am Vorjahresumsatz orientiert.
Auch in Luxemburg werden automatisch alle juristischen Personen in Form einer Handelsgesellschaft, natürliche Personen mit kaufmännischer, industrieller oder finanzieller Tätigkeit sowie ausländische Zweigniederlassungen Mitglieder der Handelskammer (Chambre de Commerce). Die jährliche Pflichtabgabe (cotisation annuelle) darf vier Promille des Gewinns nicht überschreiten, gleichzeitig gibt es Mindestabgaben. Wer bereits Mitglied der Handwerkskammer (Chambre des Métiers) ist, kann unter bestimmten Bedingungen von der doppelten Zahlungspflicht befreit werden.
Jahrzehntelange Forderung der Freiheitlichen
Die Forderung, die in Österreich gesetzlich verankerte Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen, ist alles andere als neu. Der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender (RFW) forderte das bereits im November 1999: „Wir brauchen und wollen eine starke Wirtschaftskammer, jedoch keine Selbstverwaltungsorganisation, sondern ein modernes Serviceunternehmen, das die Unternehmer durch seine Leistungen überzeugt“, sagten die beiden RFW-Verantwortlichen Helmut Haigermoser und Max Hofmann damals.
Im Laufe der vergangenen 26 Jahre mehrten sich die Stimmen für die Abschaffung der WKO-Pflichtmitgliedschaft. „Eine selbstbewusste Wirtschaftskammer braucht keine Pflichtmitgliedschaft“, sagte der damalige Neos-Chef Matthias Strolz im Oktober 2014, zwei Jahre nach Gründung der Partei. Verstöße gegen die Pflichtmitgliedschaft der Liberalen gab es bereits unter der Vorgängerpartei Liberales Forum (LIF), orchestriert vom damaligen LIF-Finanzsprecher und späteren Neos-Mitgründer Hans-Peter Haselsteiner im Jahr 2008.
Konstant hielten vor allem die Freiheitlichen an der Forderung fest. Wohl auch, weil sie bei Kammerwahlen schlecht abschneiden – im März 2025 erreichten sie 13,6 Prozent der Stimmen. Den vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierten Apparat würden sie am liebsten loswerden.
„Eine Wirtschaftskammer mit freiwilligen Mitgliedern ist gezwungen, viel mehr Service zu bieten, und wird damit automatisch eine wesentlich höhere Akzeptanz unter den Wirtschaftstreibenden erlangen“, erklärte der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache im August 2009. Und auch allein im Jahr 2025, noch vor Beginn der WKO-Gagendebatte, forderten Vertreterinnen und Vertreter der Freiheitlichen per Aussendung mindestens dreimal das Ende der Kammer-Pflichtmitgliedschaft.
Der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Haimbuchner (FPÖ) ventiliert mit seiner Forderung also eine altbekannte Position der Freiheitlichen. Die Nachfrage, woher die Information stamme, dass es eine solche Pflichtmitgliedschaft „international überhaupt nirgendwo“ gebe, ließ sein Presseteam unbeantwortet.
Fazit
Im Zuge der Gagen- und Privilegiendebatte der Wirtschaftskammer ärgerten sich viele Unternehmer: Sie müssen wegen hoher Energiepreise und Trumps Zöllen Personal abbauen und die Produktion drosseln. Gleichzeitig forderte die Kammer unter Mahrers Führung bei Kollektivvertragsverhandlungen seit Monaten Lohnzurückhaltung – wollte aber die eigenen Gehälter über der aktuellen Inflation erhöhen. Haimbuchner punktet mit seiner Forderung also vor allem bei enttäuschten Unternehmern – die Aussage, dass es Pflichtmitgliedschaften international sonst nirgendwo gebe, ist aber falsch.