Harald Mahrer
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Mahrers Morgengrauen und die Republik der Rollen rückwärts

Österreichs Politik verspricht Tempo und liefert einen Bauchfleck nach dem anderen. Selbst mit Mahrers Rücktritt wären die Probleme für Kammer und ÖVP nicht gelöst. Und die des Landes erst recht nicht.

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Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer, spielte sich jahrelang als Mahner vor zu hohen Löhnen auf. Jetzt steht er selbst als Gagenkaiser da: Mehrfachfunktionen, üppige Bezüge, satte Erhöhungen für die Funktionäre – finanziert aus Pflichtbeiträgen. Als der Druck zu hoch wird und der Rechnungshof anklopft, folgt die erste Rolle rückwärts: Man habe „Fehler gemacht“, man wolle „nachschärfen“. Einsicht klingt anders – das riecht nach Angst und Durchtauchen. Geglättet sind die Wogen nicht – in der ÖVP brodelt es. Ob Mahrer am Ende der Woche noch Wirtschaftskammer-Präsident ist? Man wird es sehen. Müsste ich wetten: Ich würde einen Euro auf „Rücktritt" setzen. Wenn stundenlang - so wie am Mittwoch - in der Kammer niemand abhebt, riecht das für uns Journalisten verdächtig.

Ein anderer Grund für das Schweigen könnte freilich auch sein, dass profil einige unangenehme Anfragen an die WKO gestellt hat. Sie haben laut unseren Informationen innerhalb der Kammer für Schimpftiraden gesorgt. Nur so viel: Es geht um Spesen, erfolglose Millionenprojekte und undurchsichtige Erhöhungen der oberen Funktionärsgagen. Die Ergebnisse unserer Recherchen lesen Sie morgen in der neuen Ausgabe (e-Paper, Freitag, 12 Uhr!)

Aber selbst, wenn Mahrer ginge, wären weder Kammer noch Partei ihre Probleme los. Die Causa Wöginger brodelt noch immer: Erst bestreitet er alles, dann räumt er Fehler ein – in dem Moment, in dem es nicht mehr anders geht, bittet er um Diversion. Er bekommt sie, die ÖVP stellt sich demonstrativ hinter ihren Klubobmann, dann ordnet die Justiz an, das Verfahren wieder aufzurollen. Ein Musterfall. Zurück bleibt ein ramponierter Politiker – und eine Partei, die signalisiert: Wir tauchen alles durch.

In einer handlungsfähigen Partei wäre das der Moment, in dem die Führung durchgreifen müsste, um Imageverluste abzuwenden. In der ÖVP ist es der Moment, in dem der Kanzler verstummt. Christian Stocker meldete sich zur Causa Mahrer gar nicht – aus seinem Kabinett vernimmt man, er habe nicht vor, sich einzumischen. Aha. Stellen Sie sich das in der Privatwirtschaft vor: Es geht drunter und drüber, aber der CEO hält sich tagelang raus? Der wäre wohl der Nächste, der seinen Job nicht mehr lange hat. Aber wenn die Personaldecke so dünn ist, wie in der ÖVP (und anderen Parteien), geht offenbar auch mehr durch.

Die ÖVP und ihr internes Desaster stehen symbolisch für eine windelweiche Regierung – die anderen Parteien zeigen auch kein Leadership. Schwarz-Rot-Pink hat weniger Bürokratie, schnellere Entscheidungen und einen „Neustart“ versprochen. Immerhin steckt das Land in einer schweren Wirtschaftskrise. Da wären klare Führung und harte, gute Entscheidungen gefragt. Ein Jahr nach Antritt der Koalition: Ja, es wird nicht gestritten und man hat sich schnell auf ein Budget geeinigt (das jetzt nicht hält), aber: keine spürbare Entlastung, kein großer Wurf, dafür Dauerbetrieb im Ankündigungsmodus.

PR-Show statt Arbeitsprogramm

Noch ein Beispiel: Der neu installierte Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn sollte beim Bürokratie- und Demokratieabbau genau das Gegenteil verkörpern: einen klaren Katalog, harte Schnitte, mutige Entscheidungen. Stattdessen: PR-Show. Anstatt sein Programm auf den Tisch zu legen – hier sind unsere Punkte, hier der Zeitplan –, werden Maßnahmen häppchenweise an Medien gesteckt, die nicht einmal mit den Koalitionspartnern akkordiert sind. Politik als Teaser-Kampagne. Hauptsache, es wirkt nach Bewegung.

Und auch die SPÖ darf als Vizekanzlerpartei nicht aus der Verantwortung gelassen werden. Da kamen bisher vor allem ideologische Grundsatzideen, die auf Parteitagen gut klingen. Konkrete, innovative Antworten darauf, wie man Wohlstand sichert und den Standort fit macht – und zwar jetzt – bleiben auch dort Mangelware.

Regierungsklausuren, Prozessrunden, Arbeitsgruppen – Österreich ist Weltmeister im Formulieren von Absichtserklärungen. Wenn es konkret wird, folgt die übliche Choreografie: Widerstand aus irgendeiner Kammer, Aufschrei eines Landes, Panik in der Parteizentrale – und dann die Rolle rückwärts.

Die ÖVP liefert dazu gerade die spektakulärste Vorstellung. Sie verspricht Reformen und fabriziert Skandale. Sie redet von Verantwortung und produziert Bilder von Funktionären, die sich Gehälter erhöhen, während draußen in jeder Kollektivvertragsrunde gerungen wird.

Zorn füllt das Vakuum 

Die FPÖ steigt in den Umfragen, obwohl sie wie immer kaum konsistente Vorschläge hat. Macht nichts, sie holt die Unzufriedenen ab. Sie zeigt auf Mahrer, auf Wöginger, auf die weichgespülte Regierungsperformance – und muss nichts weiter tun, als die Wut zu bündeln.

So entsteht eine Dynamik: Eine Politik, die ihre Versprechen nicht einlöst, verliert Vertrauen. Eine Opposition, die vor allem auf Zorn setzt, füllt das Vakuum. Und ein Land, das sich an Rollen rückwärts und Rückzieher gewöhnt, verliert den Glauben daran, dass Politik noch gestalten kann.

Österreich hat kein Erkenntnisproblem. Jeder weiß, wo die Bürokratie wuchert, wo das System Posten statt Leistung produziert und wo Kammern und Parteien jede Reform zerreden. Wegen der Umsetzung wäre es. 

Denn für eines gibt es keine Diversion, keine PR-Show und keinen eleganten Rückzieher: den Vertrauensverlust. Die Konsequenzen daraus tragen am Ende nicht Mahrer, nicht Wöginger, kein Staatssekretär – sondern das ganze Land.

P.S.: Es kommt noch was

Eigentlich wäre das ein guter Schlusssatz, den man wirken lassen sollte. Aber, was soll ich tun. Ich muss Ihnen noch was sagen: Heute startet eine neue Staffel unseres Investigativpodcasts "Nicht zu fassen". Sie gebührt Egisto Ott - jenem Mann, der inmitten einer Staatsaffäre steckt, wegen des Verdachts der Russlandspionage nun vor Gericht muss - und mich vor ein eben solches zerrt, mit mittlerweile etlichen Slapp-Klagen. Chefreporter Stefan Melichar und Innenpolitik-Journalist Max Miller widmen sich der Causa ausführlich.

Und noch was wäre: Was haben Sie am 29. November vor? Wir beenden unser Jubiläumsjahr mit unserer vorerst letzten Veranstaltung im Theater Akzent mit einer Veranstaltung mit dem Titel: "profil & Ibiza, Casinos, Kurz, KTM". Hier gibt's alle Infos und Karten. Wer ein Abo hat, kriegt es günstiger. Das kostet digital im Monat übrigens weniger als ein doppelter Espresso in so manchem Innenstadtlokal. Und eignet sich auch hervorragend als Weihnachtsgeschenk. 

 

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.