zu sehen ist das Setting der ORF-Sommergespräche 2025: ein großer brauner Tisch und zwei blaue Stühle

ORF-Sommergespräche 2025: Die Falschbehauptungen der Parteichefs

Von verdrehten Zahlen bis zu falsch zitierten Experten: Die heurigen ORF-Sommergespräche boten reichlich Stoff für den profil-Faktencheck. Ein Überblick.

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Jemandem ein Zitat in den Mund legen, das er so nie gesagt hat, Jahreswerte mit Monatszahlen vergleichen oder komplexe Zusammenhänge durch einfache Erklärungen verkürzen: In einer knappen Stunde Gesprächszeit kann im Rahmen eines ORF-Sommergesprächs vieles passieren. Manche Falschaussagen entstehen spontan, andere werden gezielt einstudiert – schließlich geht es um mehrere hunderttausend Zuseherinnen und Zuseher vor den Fernsehbildschirmen, die überzeugt werden sollen. Jede falsche oder irreführende Aussage während eines Sommergesprächs richtigzustellen, ist für den Moderator nahezu unmöglich. Er kann schlicht nicht auf alles vorbereitet sein. Manchmal gelingt es dennoch, einmal hat sich heuer sogar ein Parteichef selbst als Faktenchecker versucht – vergeblich. Doch kein einziges der fünf Sommergespräche kam ohne Falschaussagen, Tatsachenverdrehungen oder aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen aus. 

Fünf Aussagen, bei denen die Parteispitzen daneben lagen.

Gewessler und das Teilzeit-Problem

Den Anfang machte Grünen-Parteichefin Leonore Gewessler. Zum Zeitpunkt des Gesprächs dominierte die Teilzeit-Debatte, angestoßen von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). Gewessler sagte: „Ich halte mich an die Statistiken und auch an das, was Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice (...) gesagt hat: Österreich hat kein Teilzeitproblem, sondern ein Kinderbetreuungsproblem.“

Das Problem: Dieses Zitat existiert so nicht.

Gewessler bezog sich auf einen Artikel in der Tageszeitung „Der Standard“. In der Schlagzeile wurde Johannes Kopf genau dieses Zitat zugeschrieben – doch er hatte es so nie gesagt. Tatsächlich erklärte der AMS-Chef sowohl in der ZIB2 als auch im Interview mit der Kleinen Zeitung, dass Österreich sehr wohl ein Teilzeitproblem habe. Der Hauptgrund dafür sei die fehlende flächendeckende Kinderbetreuung – genau jener Aspekt, den Gewessler herausgriff. Das ändert aber nichts daran, dass Kopf die hohe Teilzeitquote klar als Problem bezeichnete. Zum ganzen Faktencheck.

Meinl-Reisinger und die Suche nach den Milliarden

Schlankere Strukturen, den Förderdschungel lichten, Doppelgleisigkeiten abbauen – all das fordern die Neos seit Jahren. In der Dreierkoalition soll Staatssekretär Sepp Schellhorn (Neos) Milliarden an Förderungen quer durch Österreich finden und zusammenstreichen. Doch nicht nur Schellhorn, auch im Wirtschaftsministerium von Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) und im von Markus Marterbauer (SPÖ) geführten Finanzministerium sucht man derzeit nach Einsparungsmöglichkeiten. Meinl-Reisinger sagte im Sommergespräch: „[...] es gibt jetzt eine Förder-Taskforce, die wirklich alle Förderungen durchleuchtet, mit dem Ziel, nochmal zwei Milliarden einzusparen. [...] In dieser Periode auf jeden Fall.“ Die Aussage kommt aber mit zwei Schönheitsfehlern daher.

zu sehen ist die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger im ORF Sommergespräch
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Erstens: Diese Förder-Taskforce im Finanzministerium existiert zwar bereits, sie arbeitete zum Zeitpunkt der Aussage aber erst an Kriterien, nach denen Förderungen gestrichen werden sollen. Zweitens: Es ist nicht vorgesehen, dass diese Taskforce alles, was gemeinläufig als Förderung verstanden wird, durchforstet. So werden zum Beispiel das Pendlerpauschale oder Sozialleistungen nicht angegriffen, weil es sich um sogenannte indirekte Transfers (das sind Steuergutschriften und Absetzbeträge) handelt. Die teils üppigen Förderungen auf Länderebene werden von der Regierung (auch mangels Kompetenz) ebenfalls nicht durchleuchtet. Eine Zusammenarbeit mit den Ländern gibt es diesbezüglich zwar, von einer Taskforce, die sich alle Förderungen ansieht, kann aber keine Rede sein. Zum ganzen Faktencheck.

Babler: Gibt es ein Koalitionsverbot mit der FPÖ?

SPÖ-Chef und Vizekanzler Andreas Babler musste sich im Sommergespräch einer heiklen Frage stellen: der Abgrenzung seiner Partei zur FPÖ. Er sagte: „Die Linie ist unverändert, es gibt Beschlusslagen der SPÖ, die sagen: auf Bundesebene keine Koalition [mit der FPÖ, Anm.].“ Tatsächlich ist die Sache komplizierter.

Zwar gab es in der Vergangenheit Parteitagsbeschlüsse, die eine Koalition mit der FPÖ ausschlossen, doch der letzte Beschluss fiel 2018. Damals wurde der sogenannte „Wertekompass“ verabschiedet. Dieser legt Kriterien für Koalitionspartner fest, schließt aber keine Partei ausdrücklich aus. Wörtlich heißt es: „Für uns als antifaschistische Partei ist keine Zusammenarbeit mit Parteien und Personen denkbar, die (rechts-)extreme, faschistische oder demokratiefeindliche Haltungen vertreten.“

Für Bablers Team erfüllt die FPÖ diese Kriterien nicht. Andere Parteigranden sehen das weniger strikt. Ein klares Verbot für eine Koalition ist es also nicht – eher eine Frage der Interpretation. Zum ganzen Faktencheck.

Stockers „Faktencheck“ hält Faktencheck nicht stand

Als Vorletzter war Bundeskanzler und ÖVP-Chef Christian Stocker an der Reihe. Angesprochen auf das „Skandalimage“ der Volkspartei sagte Stocker: „Das ist leider der Opposition gelungen, uns umzuhängen, dieses Skandalimage. Wenn man es überprüft, hält es einem Faktencheck nicht stand. (...) Bis jetzt sind die Vorwürfe, die wir bekommen haben, die haben sich ja nicht bewahrheitet. Auch die Justizverfahren sind nicht mit Verurteilungen ausgegangen.“ Doch damit spielte Stocker die Probleme der Volkspartei mit der Justiz herunter. 

Recht hat er zwar, was die ÖVP als Partei angeht, hier gab und gibt es bislang keine Verurteilung. Rechtskräftige Urteile gegen Personen im Umfeld der ÖVP gibt es hingegen sehr wohl. Und einige Verfahren laufen noch. Einen Punkt kann man Stocker zugestehen: In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Verfahren gegen ÖVP-Politiker eingestellt, auch Freisprüche gab es. Prominentestes Beispiel ist Ex-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Gegen ihn liefen in Summe 21 Ermittlungsverfahren, die allesamt eingestellt wurden. Das ändert nichts daran, dass Stockers Behauptung falsch ist. Zum ausführlichen Faktencheck.

Kickls windige Argumentation beim Netzausbau

Als Chef der stärksten Parlamentspartei war FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montag an der Reihe. Er sprach über Energiepreise – und machte den Netzausbau für Windkraft und Photovoltaik für die hohen Kosten verantwortlich. Tatsächlich führt die dezentrale Energieerzeugung zu einem erhöhten Netzausbaubedarf. Doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle: Betriebsansiedlungen, Ladestationen für Elektroautos oder schlicht die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur.

Und auch der Blick auf die Energierechnung zeigt: Haupttreiber sind nicht die Netzkosten.

Die Ursachen für den Preisanstieg finden sich im von Russland ausgelösten Angriffskrieg auf die Ukraine und den darauf folgenden Verwerfungen am europäischen Energiemarkt. Um die Konsumentinnen und Konsumenten zu entlasten, hat die türkis-grüne Vorgängerregierung zahlreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen, die zu Jahresbeginn 2025 ausgelaufen sind. Zwar spielt der Netzausbau ebenfalls eine Rolle, doch laut Regulierungsbehörde E-Control erklärt er nur rund 19 Prozent des Preissprungs. Weitaus schwerer wiegt das Auslaufen der Strompreisbremse Anfang 2025. Den ganzen Faktencheck lesen Sie hier.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.