Extrem verbunden: AfD Berlin und FPÖ Wien wollen Ideen und Personal teilen
Die Berliner AfD und die Wiener FPÖ setzen eine enge Kooperation der extremen Rechten fort. Erstes Ergebnis: Wien darf nicht Berlin werden – aber Berlin gern zu Wien.
Die AfD versteht sich als traditionsbewusste Partei. Bräuche und Sitten sind ihr also wichtig. Wenn eine Delegation der Berliner Fraktion nach Wien reist, weiß sie, was sich als Gast gehört: das Zuhause des Gastgebers loben.
Die Hauptstadtfraktion der „Alternative für Deutschland“ macht das sogar öffentlich, per Videobotschaft aus Österreich. „Wien macht deutlich: Eine Millionenmetropole muss nicht so verwahrlost sein wie Berlin“, sagt Alexander Bertram, Vize-Fraktionsvorsitzender in Berlin, und schwärmt in dem Facebook-Video weiter: „Hier gibt es tolle Maßnahmen, die umgesetzt werden. Hier wird konsequent gehandelt, einfach, dass die Straßen sauberer sind, dass die Straßen ordentlich sind und dass die Straßen sicher sind.“
Ein interessantes Lob, denn für Wien und seine Abfallwirtschaft ist die SPÖ in der Stadtregierung zuständig. Eingeladen wurde die AfD-Delegation vergangene Woche aber ausgerechnet von der Wiener FPÖ. Und die schimpft regelmäßig über verschmutzte Räume und die Unfähigkeit der Stadt Wien.
In Wien gibt es tolle Maßnahmen, die umgesetzt werden. Hier wird konsequent gehandelt, einfach, dass die Straßen sauberer sind, dass die Straßen ordentlich sind und dass die Straßen sicher sind.
Alexander Bertram
Vize-Fraktionsvorsitzender der AfD in Berlin
Wer erwartet, dass die FPÖ dem Lob der Gäste aus dem Ausland heftig widersprach, irrt. Die Freiheitlichen pflichteten der AfD sogar bei: Nach der Pride Parade sei die Route innerhalb einer Stunde wieder „blitzblank“ gewesen, lobten die Freiheitlichen die rote Stadtregierung, wie der deutsche Rundfunk rbb in der Vorwoche berichtete.
Kooperationsvertrag unterschrieben
In der Hauptstadt Österreichs ist einiges besser als in Berlin, zumindest aus Sicht der AfD. Auch die Wahlergebnisse: Die Freiheitlichen erhielten bei der Wien-Wahl im vergangenen April mehr als 20 Prozent der Stimmen, zehn Jahre zuvor waren es sogar mehr als 30 Prozent gewesen. Von solchen Werten kann die AfD Berlin nur träumen: Neun Prozent erhielt sie bei der jüngsten Wahl.
In Österreich müsste sich die AfD auch keine Sorgen machen, vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft zu werden. Hierzulande ist der Begriff nur sozialwissenschaftlich relevant, hat aber keine rechtlichen Konsequenzen für Parteien. In Deutschland droht rechtsextremen Parteien ein Verbotsverfahren.
Um sich von der Schwesterpartei FPÖ einiges abzuschauen und die Familienbande zu stärken, reiste die AfD mit einem Plan nach Wien: ein Kooperationsabkommen zu unterschreiben. Wozu wollen die beiden extrem rechten Parteien ihr neues Netzwerk nutzen?
„Wir rücken enger zusammen, wir wollen unsere Städte wieder sauberer, sicherer, ordentlicher machen und weitere politische Themen gemeinsam bearbeiten“, sagt AfD-Berlin-Chefin Kristin Brinker in der Videobotschaft.
Vier Kooperationsfelder sind im Vertrag niedergeschrieben, der profil vorliegt. Geplant sind „koordinierte Presse- und Social-Media-Aktivitäten sowie die Erstellung gemeinsamer Positionierungen zu den wichtigsten Themen der städtischen Debatte“, die „Organisation gemeinsamer Veranstaltungen, Podien und Bürgerdialoge“ und ein „fachpolitischer Austausch“.
In Zukunft soll es offenbar mehr Reisen zwischen Wien und Berlin geben: Der letzte und vielleicht essenziellste Punkt im Pakt sieht eine „Arbeitsstab-Vernetzung“ vor. „Parlamentarische Mitarbeiter, Presseteams und politische Nachwuchsakteure“ sollen sich „zur effizienten Kommunikation, strategischen Abstimmung und zum kontinuierlichen Wissensaustausch“ treffen.
Metapolitik gegen Ideologisierung
Schon jetzt gibt es personelle Überschneidungen bei den beiden Parteien: Im Mai gab etwa der Bonner AfD-Politiker Felix Cassel eine Schulung im Freiheitlichen Bildungsinstitut, wie der „Falter“ zuerst berichtete. Cassel hat ein einschlägiges Netzwerk, er zeigt sich bei Treffen mit dem rechtsextremistischen Verleger Götz Kubitschek und bewirbt Bücher des ehemaligen Anführers der mittlerweile verbotenen rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Vergangenes Jahr wurde Cassel rechtskräftig verurteilt, weil er 2019 einen Demonstranten mit seinem Auto angefahren hatte. In Wien unterrichtete er heuer die blauen Kader in „Metapolitik“ – also wie die Freiheitlichen das eigene Weltbild in der Gesellschaft verankern können.
In ihrem Kooperationsvertrag behaupten AfD und FPÖ indes, sich „gegen Ideologisierung“ einzusetzen: Nach jahrzehntelanger sozialdemokratischer Politik in Berlin und Wien sei es Zeit, „neue politische Wege zu gehen, nicht ideologiegetrieben“ – obwohl es den rechten Berlinern im roten Wien so gut gefällt.
Rechte Freunde
Die zwei Hauptstadt-Klubs führen damit weiter, was ihre Bundesparteien seit Längerem versuchen. Schon 2016, die AfD war zu diesem Zeitpunkt gerade erst drei Jahre alt, inszenierte ihre Parteichefin Frauke Petry ein Treffen auf der Zugspitze mit dem damaligen freiheitlichen Obmann Heinz-Christian Strache. Vor einem Jahr trat AfD-Chefin Alice Weidel gemeinsam mit Herbert Kickl auf, einer der ersten Auslandsbesuche als neuer FPÖ-Obmann führte wiederum Kickl nach Berlin.
Vorbei sind die Zeiten, als AfD-Gründungsmitglied Alexander Gauland noch auf Abstand zu den Freiheitlichen ging, weil sie sich seiner Meinung nach nicht restlos vom Antisemitismus distanziert hatten. Kritische Worte hört man auch nicht mehr von Manfred Haimbuchner aus Oberösterreich, der sich in Deutschland eher an den Christlichsozialen in Bayern und weniger an der AfD orientieren wollte
Als die AfD kurz vor der EU-Wahl 2024 wegen eines SS-verharmlosenden Sagers ihres Spitzenkandidaten Maximilian Krah aus der rechten „Fraktion Identität und Demokratie“ geschmissen wurde, stimmte neben der „Estnischen Konservativen Volkspartei“ nur die FPÖ für einen Verbleib der deutschen Partei. Mittlerweile sitzen AfD und FPÖ im EU-Parlament in getrennten Fraktionen, intensivieren ihre Zusammenarbeit dennoch weiter. Zuletzt starteten die zwei Parteien ein gemeinsames YouTube-Format: „Jung und patriotisch“.
Kein Wunder: Inhaltlich sind FPÖ und AfD in großen Teilen kaum unterscheidbar – und auch die Wortwahl der beiden Parteien gleicht sich: In Berlin will die AfD „links-grüne Bildungsexperimente“ stoppen, die FPÖ warnte im Nationalratswahlkampf vor der „links-grünen Ideologie“ des ORF. Die AfD will „keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme“, die FPÖ „keine Zuwanderung ins Sozialsystem“. Und spricht die AfD von dem „Rundfunkgebührenzwang“, schreibt die FPÖ von der „ORF-Zwangssteuer“.
Im direkten Vergleich sei die AfD „noch radikaler als die FPÖ“, heißt es in der Studie „Nicht gleich, aber sehr ähnlich!“ der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2024. Auch die Wählerinnen und Wähler der AfD würden „eine etwas stärkere Radikalisierung“ und mehr Unzufriedenheit mit Demokratie und Wirtschaft zeigen als jene der FPÖ.
Extrem verbunden
Inhaltliche Differenzen zwischen den Schwesterparteien gibt es vor allem in der Wirtschaftspolitik: Die AfD wurde 2013 als neoliberale Partei gegründet und hat diese Ideologie noch immer nicht ganz abgelegt. Die FPÖ inszeniert sich seit Jörg Haider als „soziale Heimatpartei“, die zwar nicht generell am Sozialstaat rüttelt, aber gezielt Ausländer von Leistungen ausschließen will. Erst für die Wahl 2024 texteten die Freiheitlichen wieder ein liberaleres Wirtschaftsprogramm. Womöglich auch, um den Wirtschaftsflügel der ÖVP anzusprechen.
Letzteres ist der wohl größte Unterschied zwischen den beiden Parteien: Da selbst in der CDU/CSU eine klare Mehrheit nicht mit der AfD regieren möchte, muss sie sich auch an keine andere Partei anpassen.
Die FPÖ will hingegen koalitionsfähig wirken – immerhin regiert sie derzeit in fünf Bundesländern mit der ÖVP. Dennoch arbeiten aktuell zwei ehemalige Führungsmänner der „Identitären Bewegung“ als parlamentarische Mitarbeiter im FPÖ-Klub. Einer davon ist Gernot Schmidt, ein ehemaliger Anführer der IB, der 2021 das Pastoralamt der Diözese Linz gestürmt und 2022 rassistische Flyer in Wiener U-Bahnen verteilt hatte.
Politischer Aktivismus ist – unabhängig von der konkreten Ausrichtung – ein Jugendphänomen und angesichts der Unbescholtenheit meines Mitarbeiters sicherlich kein Hindernis für eine Tätigkeit in den Institutionen der Demokratie.
Michael Oberlechner
FPÖ-Nationalratsabgeordneter und stellvertretender Landesgeschäftsführer der FPÖ Wien
Schmidt arbeitet im Nationalrat für Michael Oberlechner, stellvertretender Landesgeschäftsführer der Wiener FPÖ. Schmidts „politische Aktivismus” sei „sicherlich kein Hindernis für eine Tätigkeit in den Institutionen der Demokratie“, erklärte FPÖ-Abgeordneter Oberlechner gegenüber dem „Standard”. Am Wochenende trat der Mitarbeiter des FPÖ-Parlamentsklubs als Ordner bei einer Demonstration der „Identitären“ in Wien auf, die auf große Gegendemos stieß. Die Polizei nahm 48 Personen vorläufig fest.
Schutz vor dem Verfassungsschutz genießen rechtsextreme Parlamentsmitarbeiter nicht: „Insbesondere bei den neuen Rechten zeigen unsere Ermittlungen, dass Extremisten das politische Vorfeld besetzen wollen”, sagte der Direktor von Österreichs Staatsschutz, Omar Haijawi-Pirchner, bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes 2024: „Wenn Parlamentsparteien diese Personen beschäftigen, sind diese Personen selbstverständlich auch Gegenstand des Verfassungsschutzes.“
Von Iris Bonavida,
Stefan Melichar und
Jakob Winter
In Deutschland ist die Frage, ob die AfD rechtsextrem ist, juristisch relevant: Je nachdem, wie die Antwort lautet, können Fördergelder gestrichen und sogar ein Verbotsverfahren angedacht werden. Extremistisch ist, was sich gegen die Verfassung richtet. Anfang Mai stufte der deutsche Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem ein. Derzeit bekämpft die AfD diese Einschätzung aber vor Gericht. Rechtskräftig ist seit Mittwoch allerdings, dass die Partei ein rechtsextremer Verdachtsfall ist. Damit kann sie der Verfassungsschutz mit mehr Mitteln beobachten.
In Österreich twitterte der jetzige Bundeskanzler Christian Stocker, ÖVP, noch im Herbst über Kickl: „Er trägt die Bezeichnung rechtsextrem wie einen Orden auf seiner Brust.“ Für die Verfassung ist diese Bezeichnung irrelevant, in Österreich ist dort nur das NS-Wiederbetätigungsverbot verankert.
Am Ende fanden AfD und FPÖ übrigens auch etwas, das Stadtparteien an Wien nicht schätzen: Favoriten. Als Negativbeispiel führten die Freiheitlichen ihre Gäste durch die Quellenstraße. So wenig urösterreichische Läden und Bewohner – eine Abschreckung für beide Parteien.
Dabei suchen AfD und FPÖ selbst Kontakte ins Ausland: „Diese Kooperation ist offen für weitere Partner, die unsere Grundsätze und Ziele teilen.“ Ziel ist ein europaweites Städtenetzwerk. Weiteres Lob für Wien nicht auszuschließen.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.