Salzburg 2023

Marlene Svazek und Kay-Michael Dankl: Draufscheißerin und Nervensäger

In Salzburg könnten die Freiheitlichen nach der Wahl am 23. April den Landeshauptmann stellen und die Kommunisten ins Parlament einziehen. Wie Svazek und Dankl zu Hoffnungsträgern ihrer Parteien wurden.

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Kay-Michael Dankl, 34, ist Kommunist ohne erkennbare Neigung zum Klassenkampf. Man kann mit ihm eine Stunde über Politik diskutieren, ohne dass Signalwörter wie „Proletariat“, „Ausbeutung“ oder „Revolution“ fallen.

Marlene Svazek, 30, ist Freiheitliche mit Gespür für Grenzen. Als ihr niederösterreichischer Parteifreund Gottfried Waldhäusl im Fernsehen zu einer Schülerin meinte, ohne Migranten wäre „Wien noch Wien“, richtete sie ihm aus, „irgendwo in seinem Denkmuster verunfallt zu sein“.

Die blaue Svazek und der dunkelrote Dankl sind dreifache Hoffnungsträger: als politische Radikale, die sich trotzdem innerhalb des Vernunftbogens bewegen; als Fürsprecher der Politikverdrossenen; als Chefs ihrer Parteien, die bei der Landtagswahl in Salzburg am 23. April Großes leisten könnten.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschers Peter Hajek im Auftrag der „Salzburger Nachrichten“ liegen die Kommunisten bei sechs Prozent und würden damit den Einzug in den Landtag schaffen. Es wäre die größte Überraschung seit dem Jahr 2004, als SPÖ-Spitzenkandidatin Gabi Burgstaller Landeshauptfrau wurde. Nach dem Skandal um Spekulationsgeschäfte des Landes wurde die schwarze Ordnung im ehemaligen Fürsterzbistum bei der Wahl 2013 wiederhergestellt und ÖVP-Chef Wilfried Haslauer Landeshauptmann. In den vergangenen fünf Jahren regierte er in einer „Dirndl-Koalition“ mit Grünen und NEOS.

Die schwarz-grün-pinke Mehrheit unter den 387.000 Wahlberechtigten wird am 23. April verloren sein. Das liegt vor allem an Marlene Svazek, die mit Stimmen von der ÖVP rechnen kann. 2018 erreichte sie 18,8 Prozent, derzeit kommt sie laut Peter Hayek auf 25 Prozent, die ÖVP auf 33 Prozent (2018: 37,8 Prozent).

Ihre frühere Aggressivität hat Svazek abgelegt. Sie will in die Landesregierung.

Wilfried Haslauer ist der gemeinsame Gegner von Dankl und Svazek. Zur Politik des Landeshauptmanns fällt beiden einiges ein. Übereinander wollen sie wenig sagen. Dankl kann sich vorstellen, auch Stimmen aus dem FPÖ-Lager zu erhalten. Svazek beschäftigt sich nicht mit einer Kleinstpartei. Sie steuert ein Rekordergebnis an und will Landeshauptfrau, zumindest aber so stark werden, dass Haslauer die Freiheitlichen in eine Koalition holen muss. Der Slogan auf den Wahlplakaten erhöht die Spitzenkandidatin: „Neue Hoffnung“.

Berufspolitikerin Marlene

Freitag vergangener Woche ist Svazek Stargast in einem Café im Salzburger Stadtteil Gnigl, wo früher die SPÖ dominierte und die Eisenbahner wohnten. Das Lokal ist voll: viele Senioren, ein paar Junge, Handwerker in Arbeitsmontur, die gerade Feierabend gemacht haben. Die „Marlene“, wie sie jeder nennen darf, trägt Turnschuhe und spricht den Stadtdialekt, manchmal kippt sie versehentlich ins Hochdeutsche.

Einen großen Teil ihrer Rede widmet sie sich selbst. Sie sei „Berufspolitikerin“. Nachsatz: „Ich werde es aber nicht immer bleiben.“ So distanziert man sich vom eigenen Stand.

Ihre Karriere begann Svazek 2013 nach dem Politikstudium als Referentin im FPÖ-Landtagsklub. Danach arbeitete sie für die freiheitliche Delegation im EU-Parlament. Im Jahr 2016, mit bloß 24 Jahren, wurde sie Obfrau der FPÖ-Landespartei, zog in den Nationalrat ein, stieg zur Generalsekretärin der Bundes-FPÖ auf, bevor sie 2018 in den Salzburger Landtag wechselte. Dazu ist sie Vizebürgermeisterin in ihrer Heimatgemeinde Großgmain und Stellvertreterin von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Mehr Berufspolitikerin geht gar nicht.

Svazeks Betriebsmodus ist die Unbekümmertheit. Ihr früheres Lieblingsbuch ist ein Lebensratgeber der besonderen Form: „Die subtile Kunst des Daraufscheißens“. Dazu bringt Svazek noch einiges mit, was man in ihrem Metier braucht: Kommunikationstalent, Energie, Schlagfertigkeit. Laute Zwischenrufe eines nach mehreren Halben Bier bereits lallenden Anhängers („Jetzt homma die scho lang nimma gsehn“) übernimmt sie volley: „Dafür siagst mi heit doppelt.“ Ein Bringer. Svazek spult ihre Standardthemen routiniert ab: steigende Energiepreise, teures Wohnen, illegale Migration, Corona-Maßnahmen. Umweltaktivisten wäre der Schutz des Grubenlaufkäfers wichtiger als der Neubau von Kraftwerken. Sogar den Abschuss von Wölfen thematisiert sie, obwohl hier in Gnigl seit Jahrhunderten keiner gesichtet wurde. Über Wölfe weiß Svazek Bescheid. Sie ist Jägerin und stolz darauf, auch wenn es nicht jeder in der Partei versteht.

Svazeks Habitus erinnert stark an eine frühere freiheitliche Berufspolitikerin: Susanne Riess, Vizekanzlerin der ersten schwarz-blauen Koalition und von 2000 bis 2002 Bundesparteiobfrau der FPÖ. Riess stammt aus dem oberösterreichischen Innviertel, an der Grenze zum Salzburger Flachgau. Auch sie hatte ein resch-gewandtes Auftreten und machte im Zwei-Jahres-Takt Karriere in der FPÖ. Als Oppositionspolitikerin und Generalsekretärin vertrat sie offensiv die rechtspopulistische Politik ihres Chefs Jörg Haider – ohne dessen extreme Rhetorik zu übernehmen.

Auch Svazek hält viel von „Tonalität“. Man werde ihr keine verbalen Ausfälle nachweisen können, sagt sie. Als FPÖ-Generalsekretärin in Wien formulierte sie noch deftig. In Salzburg dürfte sie sich deradikalisiert haben, schließlich will sie in die Landesregierung. Der Hang zur Polemik blieb. Als Vorbild nennt Svazek die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen. Donald Trumps Wahlsieg im November 2016 verfolgte sie live mit einer FPÖ-Delegation im Trump-Tower in New York.

Wie fast jeder FPÖ-Landesparteiobmann leidet auch Svazek unter einschlägigen Parteifreunden: der Obmann ihrer Jugendorganisation, der wegen Kontakten zu Rechtsextremen zurücktrat; der lokale Funktionär, der Fußballer der französischen Nationalmannschaft als „Kongoaffen“ bezeichnete.

Vorvergangene Woche trat Svazek gemeinsam mit Herbert Kickl in Saalbach-Hinterglemm auf, der dabei ankündigte, „freiheitlicher Volkskanzler“ werden zu wollen. Auch in den kommenden Wochen wird der Parteichef sie beim Wahlkämpfen quer durch die Gaue unterstützen: in St. Gilgen, Piesendorf, Bischofshofen und Tamsweg.

Offensichtlich weiß er, was er an ihr hat. Als Kickl sich anschickte, Norbert Hofer von der Parteispitze zu mobben, war Svazek eine der Ersten unter den Spitzenfunktionären, die ihn unterstützte. Im Wahlkampf tritt auch sie kicklesk auf: Beamte würden Seniorinnen raten, am Amt ein Kopftuch aufzusetzen. Dann würden sie leichter einen Mietzuschuss erhalten. Das ist zwar Unsinn – aber der Applaus im Gnigler Café wird an dieser Stelle besonders laut.

Am Wahlabend des 23. April wird Svazek wohl hinter der ÖVP die lachende Zweite sein und die SPÖ – erstmals seit 1945 – nur Dritte. Spitzenkandidat David Egger zeigte lange keine Berührungsängste zur FPÖ, schloss eine Kooperation zuletzt aber aus.

Linke SPÖ-Wähler, die sich mehr Klarheit erwarten, haben mit Kay-Michael Dankl eine Alternative – der dazu über ein Alleinstellungsmerkmal verfügt. Als einziger Spitzenkandidat schließt er eine Koalition mit der ÖVP dezidiert aus. Stattdessen will Dankl in der Opposition „die größte Nervensäge des Landeshauptmanns Haslauer“ sein.

Der Charme des Unverbrauchten

Politische Populisten suchen und finden leicht Sündenböcke, bei Rechtspopulisten sind es „Ausländer“, bei Linkspopulisten „Reiche“. Für „Eat-the-Rich“-Rhetorik ist Dankl allerdings nicht zu haben. Er ist weniger Kommunist als Sozialist mit ausgeprägtem Dienstleistungsdenken, eher Ombudsmann als Politiker. 2019 zog er in den Salzburger Gemeinderat ein, wo er sich ausschließlich dem Politikkomplex „Wohnen“ widmet. Standesdünkel von unten nach oben kennt er nach eigenem Bekunden nicht. Nicht nur die Mindestpensionistin würde sich wegen steigender Wohnkosten sorgen, sondern auch der Arzt mit fünf Kindern oder der Besitzer eines Reihenhauses. Erbschafts- und Vermögenssteuern hält Dankl für notwendig, hohe Freibeträge aber auch. Es gibt sozialdemokratische Gewerkschafter mit radikaleren Enteignungsfantasien.

Vergangenen Samstag steht Dankl vor dem Europark-Einkaufscenter am Stadtrand von Salzburg, verteilt Flyer, spricht Passanten an und hört geduldig zu. Auch er ist ein Kommunikationstalent, groß gewachsen, blickt seinen Gesprächspartnern fest, aber freundlich in die Augen.

Mittlerweile wird er erkannt – und meistens endet das erfreulich. Als er im Europark einen Kaffee trinkt, lobt ihn eine langjährige SPÖ-Wählerin vom Nebentisch, er sei der einzige Politiker, den man noch wählen kann. Es ist der Charme des Unverbrauchten.

Dankl ist weniger Kommunist als Sozialist mit Dienstleistungsdenken, mehr Ombudsmann als Politiker.

Dabei ist Dankl auch Berufspolitiker, allerdings mit Nebenbeschäftigung. Der studierte Historiker arbeitet als Führer im Salzburg Museum. Seine Eltern stammen aus Uttendorf, er selbst wuchs in der Stadt auf. Als Sohn einer Ärztin und eines Tischlers aus dem Pinzgau wird man nicht durch Prägung zum Kommunisten, sondern über Umwege. Dankl engagierte sich bereits als Student politisch und wurde Sprecher der Jungen Grünen.

Wie weit man sich dabei nach links verirren kann, zeigte er 2016 bei der Bundespräsidentschafts-Kandidatur des früheren Grünen-Chefs Alexander Van der Bellen, dessen Eignung Dankl öffentlich anzweifelte. Begründung: Van der Bellen vertrete „wirtschaftspolitisch neoliberale bis rechte Positionen“.

2017 eskalierte ein Streit der Jungen Grünen mit der Mutterpartei. Man trennte sich im Unfrieden. Da sie links von SPÖ und Grünen viel Bewegungsspielraum sahen, schlossen Dankl, Genossinnen und Genossen ein Bündnis mit der KPÖ und firmieren seither unter KPÖ-plus. Dankls Vorbild ist Elke Kahr, die von der kommunistischen Gemeinderätin zur Grazer Bürgermeisterin aufstieg und der KPÖ zu zwei Mandaten im Steirischen Landtag verhalf.

Wie Kahr bittet auch Dankl Bürger zu Sprechstunden. Wie Kahr verschenkt er Teile seiner Gemeinderatsgage an bedürftige Bürger – und vergisst auch nicht, das regelmäßig zu erwähnen. Im Fall eines Einzugs in den Landtag soll kein KPÖ-plus-Mandatar mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn, etwa 2300 Euro, behalten. Der Rest wird gespendet. Man kann das für gelebte Überzeugung halten – oder für einen linkspopulistischen Marketinggag, wie auch Dankls Forderung nach billigerem Tierfutter.

Wird ein Wahlkampf wie in Salzburg von wenigen Themen dominiert, fällt es den Kontrahenten schwer, sich voneinander zu unterscheiden. Dankl kümmerte sich schon um leistbares Wohnen, als alle noch von Corona sprachen. Nun kapern auch die anderen Parteien seine Agenda, allen voran die FPÖ. Kommunistische und freiheitliche Wortwahl decken sich. Gewettert wird gegen „Spekulanten“, „fürstliche Bonuszahlungen“ für Manager und „teure Prestigeprojekte“ von Landeshauptmann Haslauer, die aus den Gewinnen der Energiewirtschaft finanziert würden.

Svazek und Dankl hoffen, sich aus dem großen Reservoir an Nichtwählern bedienen zu können. 2018 verzichteten 35 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Salzburg auf ihr Stimmrecht. Beide ziehen auch Protestwähler an, denen es um Revanche – wofür auch immer – geht.

ÖVP und SPÖ werden verlieren, Grüne und NEOS stagnieren. Es bleibt ein Naturgesetz: Schwächelt die Mitte, werden die Ränder stärker – und verlieren ihren Schrecken. „Die Dämonisierung der Freiheitlichen wird immer schwieriger“, sagt Marlene Svazek. Für Kay-Michael Dankl und seine Salzburger Kommunisten gilt das wohl auch.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.