INTERVIEW MIT STEIRISCHEM LANDESHAUPTMANN MARIO KUNASEK: KUNASEK (FPÖ)
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INTERVIEW MIT STEIRISCHEM LANDESHAUPTMANN MARIO KUNASEK: KUNASEK (FPÖ)
Spesen-Ermittlungen vor Abschluss: Wird Landeshauptmann Kunasek angeklagt?
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Alexis Pascuttini hat in der Grazer Spesenaffäre schon viel erlebt. Mit 16 Jahren hatte er sich, begeistert vom damaligen Parteichef Heinz-Christian Strache, der FPÖ angeschlossen, mit 25 wurde er blauer Klubchef im Grazer Gemeinderat. Doch in der Affäre um verschwundene Parteigelder gab Pascuttini nicht klein bei, drängte auf Aufklärung – und wurde aus der FPÖ geschmissen.
Und doch wird der selbst ernannte Aufdecker am 9. Dezember etwas tun, das er in den seit mehr als fünf Jahren laufenden Ermittlungen noch nicht getan hat: Pascuttini will sich verantwortlich zeigen. Und zwar dafür, als Mitglied der Stadtparteileitung die Finanzen nicht genau genug geprüft zu haben.
STEIERMARK-WAHL: FPÖ-WAHLFEIER / KUNASEK, KICKL
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STEIERMARK-WAHL: FPÖ-WAHLFEIER / KUNASEK, KICKL
Damit könnte er seinen einstigen Landesparteiobmann Mario Kunasek, den ersten freiheitlichen Landeshauptmann der Steiermark und den wohl mächtigsten Blauen nach Herbert Kickl, möglicherweise bedeutend belasten.
Die Spur des Geldes
Mehr als fünf Jahre lang hat die Justiz ermittelt, mittlerweile ist das Bild recht klar: Von Konten der Grazer FPÖ verschwanden jahrelang Parteigelder, wenig später landeten Bareinzahlungen auf persönlichen Konten der Stadtparteiführung. Entsprechend nahe dürften die Ermittler am Abschluss stehen: Die Zeugeneinvernahme von Pascuttini am 9. Dezember sollte eigentlich der Schlusston sein.
Danach dürfte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt nur noch auf ein Gutachten warten, das spätestens Ende Februar fertig sein müsste. Insider gehen davon aus, dass die Staatsanwaltschaft eher Anklage erheben wird, als das Verfahren einzustellen. Offen scheint nur noch, wer aller sich vor Gericht für das verschwundene Steuergeld verantworten muss.
Kern der Vorwürfe sind die undurchsichtigen Finanzen der FPÖ Graz in den Jahren 2014 bis 2021. Nach Berichten in der „Kleinen Zeitung“ über finanzielle Ungereimtheiten hatte sich der damalige Finanzreferent der Stadtpartei, Matthias Eder, im November 2021 selbst angezeigt. Eder behauptet seitdem, er habe im Alleingang bis zu 710.000 Euro veruntreut. Außer ihm habe sich niemand etwas zuschulden kommen lassen, beteuert er in seiner damaligen Selbstanzeige. Da Eder die Schuld beglichen hat, bevor gegen ihn ermittelt wurde, hofft er auf tätige Reue und damit Straffreiheit.
Doch die Ermittler glauben nicht, dass Eder allein gehandelt hat. Und sie vermuten, dass es um weit mehr als nur 710.000 Euro geht. Rund 1,8 Millionen Euro Steuergeld könnten in der FPÖ Graz verschwunden sein. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt vermutet, dass auch Ex-Stadtparteichef Mario Eustacchio und der frühere Klubchef der FPÖ in Graz, Armin Sippel, an der Untreue beteiligt gewesen sein könnten.
Eustacchio hatte die Stadt-FPÖ 2012 übernommen, stieg 2017 sogar zum Vizebürgermeister von Graz auf und war nebenbei Finanzreferent der freiheitlichen Bundespartei. Sippel war seine rechte Hand. Die beiden sind im Rahmen der Finanzaffäre aus der FPÖ ausgetreten und bestreiten die Vorwürfe. Zahlreiche weitere Freiheitliche sowie Vereine aus dem Umfeld der FPÖ könnten von den Geldern profitiert haben, so der Verdacht der Staatsanwaltschaft. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Nach fünf Jahren neigen sich die Ermittlungen ihrem Ende zu. Die wichtigsten Zeugen sind – soweit sie noch am Leben sind – befragt, die Beschuldigten mit den Vorwürfen konfrontiert, mehrere Gutachten eingeholt. Das Verfahren verlief lange schleppend. Erst 2024 wurden erstmals private Konten der Beschuldigten geöffnet. Die Analyse zeige, „dass zahlreiche Einzahlungen am Konto von Mag. Eustacchio mit zeitnahen Auszahlungen auf der Liste der verdächtigen Buchungen korrelieren“, hielt der beauftragte Gutachter für die Staatsanwaltschaft fest. Warum die Konten erst 2024 geöffnet wurden, ist für Alexis Pascuttini „schlicht nicht nachvollziehbar“, wie er zu profil sagt: „Erst der neue Staatsanwalt, der glücklicherweise im Herbst 2024 übernommen hat, konnte Tempo in die schleppenden Ermittlungen bringen.“
Kontrollversagen
Doch wer hätte verhindern müssen, dass über Jahre hinweg Steuergeld aus der Partei in private Taschen fließen kann? Und haben sich diese Personen durchs Wegschauen mitschuldig gemacht?
„[K]ein einziges Mitglied der Stadtparteileitung [hat] jemals Fragen zu den Finanzen der Stadtpartei gestellt – auch ich nicht.“
Alexis Pascuttini
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„[K]ein einziges Mitglied der Stadtparteileitung [hat] jemals Fragen zu den Finanzen der Stadtpartei gestellt – auch ich nicht.“
Alexis Pascuttini
„[K]ein einziges Mitglied der Stadtparteileitung [hat] jemals Fragen zu den Finanzen der Stadtpartei gestellt – auch ich nicht.“
Alexis Pascuttini
Laut Mitgliedern der Stadtparteileitung gab es in Graz „keine Beratungen und auch keine Beschlüsse zu finanziellen Angelegenheiten“, schreibt das Landeskriminalamt Kärnten. Auch Alexis Pascuttini sieht sich daher mit in der Verantwortung: „Ich bin 2016 im Alter von 20 Jahren Mitglied der Stadtparteileitung geworden und habe dann erlebt, wie in all den Jahren niemals Beschlüsse zu den Finanzen gefasst wurden und kein einziges Mitglied der Stadtparteileitung jemals Fragen zu den Finanzen der Stadtpartei gestellt hat – auch ich nicht.“ Mit der Zeit habe er aber bemerkt: „Was mit den jährlich rund 500.000 Euro an Klub- und Parteiförderung passiert, weiß so gut wie niemand.“ Dabei habe es Gerüchte um Vereine, dubiose Anstellungen des Klubobmanns und die Auszahlung horrender Ver-fügungsmittel gegeben, so Pascuttini: „… und ich war nicht der Einzige, dem diese Gerüchte bekannt waren.“
Gegenüber den Behörden wird Pascuttini seine Verantwortung am 9. Dezember eingestehen. Allerdings sieht er seinen Kontrollauftrag als damals 20-jähriger Neuling in der Stadtparteileitung als deutlich geringer an als etwa jenen von Mario Kunasek und dessen engsten Mitarbeitern, die mit Pascuttini in der Stadtparteileitung saßen. Immerhin hätte der Landesparteichef wissen müssen, wie die anderen zwölf Bezirksgruppen arbeiten. Und: Kunasek soll schon 2019 vor Ungereimtheiten gewarnt worden sein.
FPÖ PARTEITAG: KUNASEK
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FPÖ PARTEITAG: KUNASEK
In einer Zeugenbefragung durch die Staatsanwaltschaft berichtet ein Wirtschaftsprüfer der FPÖ Graz, dass Belege und Rechnungen gefehlt hätten und stattdessen mit Blanko-Eigenbelegen gearbeitet worden sei. Da der Prüfer damals gleichzeitig persönlicher Assistent von Kunasek war, habe er den Landesparteichef darüber 2019 informiert – offenbar mit wenig Erfolg: „Sinngemäß meinte [Kunasek], dass bei Eustacchio sicher alles sicher in Ordnung sei und es sich ja um keine großen Beträge handle. Und dass ich die Rechnungsprüfung ‚blind‘ unterschreiben könne. Er tat dies mit einer so herablassenden Handbewegung ab.“
Mein Mandant hat gegenüber der Staatsanwaltschaft bereits ausführlich Stellung bezogen und sämtliche Vorwürfe widerlegt. Ich gehe daher davon aus, dass auch hier – ebenso wie bei allen anderen Verfahren – eine Einstellung des Verfahrens erfolgen wird.
Johann Pauer
Anwalt von Mario Kunasek
Mario Kunasek weist jegliche Vorwürfe von sich. Sein Mandant habe gegenüber der Staatsanwaltschaft bereits ausführlich Stellung bezogen „und sämtliche Vorwürfe widerlegt“, schreibt der Anwalt des Landeshauptmannes, Johann Pauer, auf profil-Anfrage: „Ich gehe daher davon aus, dass auch hier – ebenso wie bei allen anderen Verfahren – eine Einstellung des Verfahrens erfolgen wird.“
Aber warum hätte Landeschef Kunasek überhaupt die Grazer Stadtpartei kontrollieren sollen? Einerseits war Kunasek eben selbst Mitglied der Stadtparteileitung. Andererseits, und das ist etwas kurios, gibt es die FPÖ Graz rechtlich gar nicht: Die Bezirksorganisationen der FPÖ Steiermark sind keine eigenen Rechtspersönlichkeiten, das gilt auch für die Grazer Freiheitlichen. Im Jahr 2021 wurde daher etwa die Landespartei für ein Posting der Stadtpartei medienrechtlich verurteilt. Ob Kunasek als Landesparteichef daher noch genauer auf die Grazer Ausgaben hätte achten müssen, muss die Staatsanwaltschaft Klagenfurt einschätzen.
Teure Spesen
Auf jeden Fall schlugen auffällig hohe Ausgaben der Stadtpartei im Land auf. Und die haben ausgerechnet mit dem Ursprungsvorwurf zu tun, der Eder zur Selbstanzeige brachte: Von 2015 bis 2021 gab die Grazer Stadtpartei jährlich 50.000 Euro als „Rücklage Stadtrat Eustacchio“ aus.
Nun sind Spesen für führende Politikerinnen und Politiker nicht unüblich. Die Höhe überrascht jedoch: „Ich erhalte als Landesparteiobmann rund 6000 Euro an solchen Verfügungsmitteln“, hatte etwa Kunasek bei einer Einvernahme ausgesagt. Die Gebarungsrechnungen, in denen die jährlich genau 50.000 Euro schwere „Rücklage Stadtrat Eustacchio“ angeführt wird, wurde den Ermittlern von der Landespartei vorgelegt.
Das heißt: Die FPÖ Steiermark wusste wohl, dass Eustacchio als Stadtparteichef achtmal mehr Verfügungsmittel erhielt als Landesparteichef Kunasek. Es dürfte nur niemanden interessiert haben.
Fraglich ist nun, ob diese Summen kritisch hinterfragt hätten werden müssen – und falls ja, wer aus Sicht der Staatsanwaltschaft dafür verantwortlich war. Alexis Pascuttini glaubt, dass er selbst genauer hätte hinschauen müssen. Und dass auch Landeshauptmann Mario Kunasek Verantwortung für die mutmaßliche Untreue in der FPÖ Graz tragen könnte. Nicht weil Kunasek sich selbst bereichert haben soll. Sondern weil der steirische Landeshauptmann bei der Kontrolle in seiner eigenen Partei versagt haben könnte.
Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.