Warum Trumps Plan gelingen könnte – oder auch nicht
Mit Trumps 20-Punkte-Plan hat im Nahostkonflikt eine neue Ära begonnen. Der US-Präsident geht vor wie niemand vor ihm: machtbewusst, Geschichtsvergessen und mit enormem Optimismus. profil skizziert zwei Szenarien: Gelingen und Scheitern.
Der Nahe Osten ist zweifellos die prädestinierte Weltregion für kühne Prophezeiungen. Hier wandelten Abraham, Moses, Jesaja, Johannes der Täufer, Mohammed und viele mehr umher und sagten voraus, was die Zukunft respektive Gott bringen werde. Am Montag der vergangenen Woche war es wieder einmal so weit. US-Präsident Donald Trump traf im ägyptischen Bade- und Konferenzort Sharm el-Sheikh mit gekrönten Häuptern, gewählten Staats- und Regierungschefs und sonstigen Promis (FIFA-Präsident Gianni Infantino war kurioserweise auch dabei) zusammen, um im Rahmen eines pompösen Festaktes seine mutige Vorhersage zu zelebrieren: „Frieden im Nahen Osten“.
Eigentlich war bis dahin lediglich ein erster, wenn auch enorm bedeutsamer Schritt gelungen, nämlich die sogenannte Phase 1 von Trumps Plan. Die Terrororganisation übergab alle lebenden Geiseln, die Rückgabe der Toten lief schleppend an. Israel wiederum entließ wie vereinbart an die 2000 palästinensische Gefangene aus der Haft und beorderte seine Streitkräfte auf eine Waffenstillstandslinie. Auch die vermehrten Lebensmittellieferungen treffen im Gazastreifen ein.
Wenn sie sich nicht entwaffnen, werden wir sie entwaffnen.
Donald Trump in Richtung Hamas
Es herrscht Waffenstillstand, aber noch kein Frieden. Im Gegenteil, die Hindernisse auf dem Weg zu der angestrebten dauerhaften Friedenslösung gleichen wahren Gebirgen. Zudem lehrt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, dass Abkommen, Roadmaps und sonstige Vereinbarungen verschleppt, sabotiert und ausgehebelt werden, bis von ihnen nichts mehr übrig ist als der Streit darüber, wer sich als Erster woran nicht gehalten hat.
Warum sollte es diesmal anders sein?
Die einfache Antwort darauf lautet: Weil diesmal wirklich alles anders ist. Und das hat vor allem mit Donald Trump zu tun. Er bricht, wie es seine Art ist, mit allen Konventionen und setzt einen Friedensprozess auf, der keinerlei Ähnlichkeit mit denen der Vergangenheit hat.
Bisher stand im Zentrum jedes Friedensplans die Suche nach einer gerechten Lösung, die sowohl Palästinenser als auch Israelis zufriedenstellen sollte. Die Verhandler kreisten um die immer gleichen Themen: Wo sollen die Grenzen gezogen werden? Wie kann das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser bei gleichzeitiger Sicherheit für Israel umgesetzt werden? Wie soll Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten geteilt werden?
All das ignoriert Trump mit voller Absicht, und das liegt nicht nur daran, dass sein Friedensplan in Gaza seinen Ausgang nimmt und nicht im Westjordanland. Trump stellt die Frage nach Gerechtigkeit zwischen Israel und Palästina erst gar nicht und erspart sich damit die Antworten, die ohnehin zu keinem Konsens führen würden. Sein Konzept ist geschichtsvergessen und frei von politischen Werten wie Selbstbestimmung, Souveränität, Menschenrechte. Stattdessen hat Trump zwei Ziele vor Augen: Stabilität und Wiederaufbau.
Dorthin gelangen will der Leider-nein-Friedensnobelpreisträger, indem er die Beteiligten dazu zwingt, seinem 20-Punkte-Plan zu folgen, und seine politische Reputation damit verknüpft.
Viele Leute mögen die Einstaatlösung. Manche mögen die Zweistaatenlösung. Wir werden sehen.
Donald Trump
Die erste Hürde steht unmittelbar bevor: die Entwaffnung der Hamas. Deren Führung hat Trumps 20-Punkte-Plan nie unterzeichnet, dennoch geht der US-Präsident davon aus, dass sie sich entwaffnen lässt – „oder wir werden sie entwaffnen“ (Trump).
Seine Selbstsicherheit kommt nicht von ungefähr. Die Tatsache, dass alle wesentlichen arabischen und islamischen Staaten Trumps Plan zugestimmt haben, macht die Hamas sehr einsam. Ohne Unterstützung von außen, ohne klandestine Lieferungen von Geld und Waffen wird die Terrororganisation im Gazastreifen auf Dauer in Schwierigkeiten geraten. Sie ist gezwungen, sich zu arrangieren, und das kann in der derzeitigen Situation bedeuten, sich zumindest von ihren schweren Waffen zu trennen.
Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird sich Trumps Plan wohl weiterhin fügen. Trump war bis zum Waffenstillstand der Letzte, der Israel international gegen alle Kritik und Anfeindungen verteidigt hat. Selbst nach dem desaströsen Angriff Israels auf die Verhandler der Hamas in der katarischen Hauptstadt Doha ließ Trump Netanjahu nicht fallen. Zum Dank dafür akzeptierte Israels Ministerpräsident Trumps Vorgaben. Die nächste besteht darin, schrittweise aus dem Gazastreifen abzuziehen. Trumps Vorgänger Joe Biden konnte nie solchen Druck auf Israel ausüben – Trumps Republikaner hinderten ihn daran, indem sie ihn bei jedem seiner Versuche als Feind Israels darstellten.
Das Besondere an Trumps Friedensinitiative ist neben seiner Machtposition vor allem die Betonung der Wirtschaft. Der US-Präsident geht davon aus, dass er alle bisher so wichtigen Streitpunkte sehr lange hintanstellen kann, wenn er stattdessen im Gazastreifen für raschen wirtschaftlichen Aufschwung sorgt. Der Nahost-Experte Daniel Gerlach sagt im profil-Interview, man könne von einer „Stabilisierung des Gazastreifens und von einem Ende des Gemetzels, nicht etwa von einem Friedensplan“ sprechen.
Die angekündigte Übergangsregierung im Gazastreifen, gestützt von einer Internationalen Stabilisierungskraft (ISF), soll sich um den Wiederaufbau kümmern, um das Gesundheits- und Bildungssystem, um Infrastruktur und dergleichen, aber keinesfalls um die Etablierung eines palästinensischen Staates, wie ihn sich die Vertreter der Zweistaatenlösung – also der Schaffung eines Staates Palästina – vorstellen.
Nichts kann Trumps Vorstellung von einem Nahostfrieden besser erläutern als die Antwort, die er Journalisten auf dem Rückflug von Sharm el-Sheikh auf die Frage gab, wie er zur Staatswerdung Palästinas stehe: „Ich denke, viele Leute mögen die Einstaatlösung. Manche mögen die Zweistaatenlösung. Wir werden sehen.“
Für Trump spielt diese Frage keine Rolle. Er geht davon aus, dass die Stabilisierung des Gazastreifens Milliarden-Investitionen zur Folge haben wird und dass die Bevölkerung froh sein wird, wenn sich ihre Lebensumstände verbessern. Das Westjordanland, in dem die Palästinensische Autonomiebehörde formal regiert, spielt in diesem Szenario plötzlich keine Rolle. Ein aufblühendes, unpolitisches Gaza könnte zum Vorbild für ein technokratisch regiertes Palästina werden. Erst weit hinten am Horizont, derzeit noch nicht in Sicht, zeichnen sich in diesem Plan die Konturen eines Staates Palästina ab. Oder eben nicht. Wenn alles klappt, würde Frieden herrschen. Nicht durch souveräne Selbstbestimmung, sondern durch Stabilität und verbesserte Lebensqualität.
Wie Trumps Plan scheitern kann
Der Nahe Osten ist kein Ort für Newcomer. Hier suchen – und finden – Streitparteien Argumente für ihre Standpunkte bis zurück in biblische Vorzeit, gern auch in heiligen Schriften. Auch in jüngerer Zeit nährt sich der Kampf zwischen Juden und Palästinensern aus unzähligen Verbrechen, Vorfällen und Verstößen, die von der jeweils anderen Seite bestritten oder anders interpretiert werden. Es handelt sich um den wohl komplexesten Konflikt der Welt.
Plötzlich kommt US-Präsident Donald Trump und verkündet, er habe den Krieg beendet, „von dem manche Leute sagen, er habe 3000 Jahre gedauert, manche sagen 500 Jahre. Aber wie auch immer, er ist der Großpapa von allen.“ Zu glauben, der Nahost-Konflikt, der „Großpapa von allen“, sei zu Ende, weil zwischen der palästinensischen Terrororganisation Hamas und Israel ein Waffenstillstand herrscht, zeugt von Optimismus, der die Grenze zur Naivität hinter sich lässt.
In Wahrheit behauptet Trump bloß, alle Seiten hätten seinem 20-Punkte-Plan zugestimmt. Tatsächlich hakt es bereits am entscheidenden ersten Schritt nach dem Waffenstillstand: der Entwaffnung der Hamas. Diese will bislang nichts davon wissen, woraufhin Trump droht, wenn sie ihre Waffen nicht niederlege, „werden wir das erledigen“. Dahinter steckt die große Frage, ob die Hamas ihre Macht in Gaza abgibt, wie es der – nicht unterzeichnete – Trump-Plan verlangt, oder ob sie plant, ihre Machtposition doch noch in die Nachkriegszeit hinüberzuretten. Derzeit stellt die Hamas immer noch die bestimmende Macht im Gazastreifen dar, mit temporärer Billigung des Weißen Hauses.
Die Entwaffnung einer paramilitärischen Organisation ist keine einfache Sache. In Nordirland dauerte dieser Prozess im Fall der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) von der Unterzeichnung des Abkommens 1998 bis zur Verifizierung der Entwaffnung sieben Jahre.
Auf israelischer Seite ist es der Abzug der Streitkräfte aus dem gesamten Gazastreifen, der sich in die Länge ziehen kann. Ein Beispiel: Nach dem Fall des Assad-Regimes in Syrien im Dezember 2024 besetzten die Israelischen Streitkräfte (IDF) „vorübergehend“ Positionen auf syrischem Staatsgebiet. Bisher haben sie sich von dort nicht wieder wegbewegt.
Dass in Trumps 20-Punkte-Plan für den Nahostfrieden viele Punkte offengelassen oder vage formuliert und keine fixen Abläufe und Termine festgeschrieben wurden, hält Nahost-Experte Daniel Gerlach für Absicht, „um die Zustimmung zu erleichtern“. So konnten alle Seiten den Plan erstens als annehmbar und zweitens als ihren Erfolg verbuchen. Hat sich jedoch die große Erleichterung über die Geiselfreilassung und den Waffenstillstand erst einmal gelegt, werden die Gegner der Einigung wieder stärker auf den Plan treten.
Je länger die Hamas in Gaza öffentlichkeitswirksam auftritt, umso lauter wird die Kritik rechtsextremer Ultranationalisten am Friedensplan ausfallen. Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir verlangte diese Woche bereits in einem Posting auf der Social-Media-Plattform „X“, die Hamas müsse „von der Erde getilgt“ werden, womit er nichts anderes als eine Rückkehr zum Krieg forderte. Im kommenden Jahr stehen in Israel Parlamentswahlen an, und sich als Scharfmacher gegen die Hamas zu positionieren, kann Stimmen bringen.
In einem Video ist zu sehen, wie die Hamas mutmaßliche Mitglieder eines rivalisierenden Clans erschießt.
Gewalt in Gaza
In einem Video ist zu sehen, wie die Hamas mutmaßliche Mitglieder eines rivalisierenden Clans erschießt.
Die Hamas wiederum könnte versuchen, Israel zu provozieren, um weitere Schritte gemäß des Friedensplans zu sabotieren. Sie kann jederzeit eine Rakete auf Israel abfeuern und auf eine Eskalation hoffen. So wurden schon viele Abkommen durchkreuzt. Doch selbst wenn es Trump gelingt, dank seiner aktuellen Autorität als Nahost-Friedensstifter beide Seiten zur Einhaltung ihrer unmittelbaren Verpflichtungen zu zwingen, bleibt sein Plan auf verhängnisvolle Weise zu kurz gedacht. Der US-Präsident setzt darauf, dass allein die Stabilisierung durch eine Übergangsregierung und der beginnende Wiederaufbau alle bisherigen Ziele der palästinensischen Bevölkerung vergessen machen.
Doch die zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen und die drei Millionen im Westjordanland kämpfen nicht zufällig seit bald acht Jahrzehnten darum, ihr politisches Schicksal selbst bestimmen zu können. Laut Trumps Plan haben bis auf Weiteres – also ohne zeitliches Limit – eine nicht durch Wahlen legitimierte Übergangsregierung und ein international besetztes „Board of Peace“ in Gaza das Sagen.
Das ist nicht die Freiheit und Souveränität, die sich die Palästinenser wie jede andere Nation auch wünschen. König Abdullah II. von Jordanien, ein Routinier und Betroffener im palästinensisch-israelischen Konflikt, sagte vergangene Woche in einem BBC-Interview, der Nahe Osten sei verloren, wenn es keinen Prozess gebe, der einen palästinensischen Staat zum Ziel hat. Genau das jedoch hat Israels Premier Benjamin Netanjahu ausgeschlossen, und er wird dies im Jahr vor der nächsten Wahl nicht revidieren.
Der Kern des Konflikts wird von Donald Trumps Versprechen eines aufblühenden Gazastreifens lediglich übertüncht. Eine Aussöhnung zwischen Palästinensern und Israelis wird nicht auf Basis von lukrativen Immobiliendeals an Gazas Mittelmeerpromenade stattfinden. Der 20-Punkte-Plan bietet den Palästinensern keinen konkreten Pfad zu einem eigenen Staat, und er schützt sie nicht vor weiterem Landraub durch jüdische Siedler im Westjordanland.
Das ist nicht die Freiheit und Souveränität, die sich die Palästinenser wie jede andere Nation auch wünschen.
Genau das jedoch sind Forderungen, die sich auf palästinensischer Seite durch das gesamte politische Spektrum ziehen. Werden sie nicht erfüllt, gelten die moderaten politischen Parteien und die Palästinensische Autonomiebehörde als schwach und nutzlos, und militante Gruppen erstarken. Das wiederum weckt auf israelischer Seite die berechtigte Angst, erneut Opfer von Terror zu werden. Der 7. Oktober 2023 macht jedes Ausmaß von Misstrauen auf israelischer Seite nachvollziehbar.
Eine Rückkehr zum politischen Status quo vor dem Terrorangriff der Hamas macht auch Trumps Hoffnungen auf eine Ausweitung der Abraham-Abkommen – gegenseitige Kooperationserklärungen zwischen Israel und arabischen Staaten – zunichte. Das saudi-arabische Regime, das Trump in dieser Frage besonders heftig umwirbt, wird kein solches Abkommen unterzeichnen, solange den Palästinensern ihr Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten wird.
Trumps Wette, er könne sich den heikelsten Fragen, die alle Verhandler vor ihm scheitern ließen, einfach entziehen, und der Frieden werde sich auch so irgendwie bewerkstelligen lassen, ist ein Spiel mit dem Feuer in der Weltregion mit der höchsten Dichte an Pulverfässern.